„Aufmerksamkeit ist der
Weg die Wirklichkeit zu erkennen.“
H.H. Shri Mataji Nirmala Devi
Wunsch, Wille und Aufmerksamkeit – Werkzeuge
menschlicher Evolution
Einleitung
Woran liegt es, dass eine Person an bestimmte Dinge denkt,
sich für eine Sache interessiert, oder im Gegenteil, nicht
daran interessiert ist? Welcher Mechanismus liegt den
Wünschen, Gedanken und darauffolgenden Handlung zu Grunde?
Jede Aktivität eines Menschen beginnt grundsätzlich mit dem
Auftauchen eines Wunsches. Der Wunsch entsteht aufgrund
eines inneren oder eines äußeren Signals und verursacht ein
Handlungspotential, welches das Gehirn/kognitive System
aktiviert. Dieses System benötigt für jede Handlung einen
Fokus, damit alle Energien direkt in die gewünschte
Handlung fließen können. Erreicht wird dies durch den
Gebrauch des Willens und der Aufmerksamkeit
(Chitta).
Der Wille ist Ausdruck des Wunsches. Die Aufmerksamkeit
gibt die Richtung vor und lenkt den Willen auf ein
bestimmtes Ziel.
Nach Shri Mataji ist die Aufmerksamkeit das Mittel, um die
Realität zu erkennen. Man kann die Aufmerksamkeit als eine
Art Fahrzeug ansehen. Es liegt in ihrer Natur immer sich
von einem Objekt zum nächsten zu bewegen, weshalb ist es
schwierig ist, sie an einem Ort zu halten. Die Kontrolle
der Aufmerksamkeit ist auch im gundlegenden Sanskritwerk
über Yoga, dem Patanjali
das zentrale Thema.
Der Weise Patanjali sagte in einer der Sutren:
„Chitta Vritti Nirodha" - damit ist gemeint, dass die
Kontrolle der Aufmerksamkeit (Chitta)
zu Yoga
führt.
Die Kontrolle der Aufmerksamkeit wird auch in allen anderen
Yogasystemen hervorgehoben. Die Meditation ist der Weg, um
sich mit dem Göttlichen zu verbinden. Das Werkzeug dazu ist
die Aufmerksamkeit, denn sie verleiht der Meditation
Stabilität. Um dies zu verstehen, sehen wir uns nun den
Mechanismus des Wunsches und der Aufmerksamkeit genauer an.
Die
Aufmerksamkeit ist ein Instrument der
Seele
Das Gehirn/kognitive System lässt sich in vier
Hauptbereiche einteilen, welche für die Aktivität zuständig
sind: das Wahrnehmungs-, das Erkenntnis-, das Erinnerungs-
und das motorische System. Diese Bereiche haben wiederum
verschiedene untergeordnete Module, welche mit den Ebenen
des Bewusstseins zusammenarbeiten.
Während die
Wissenschaft das Gehirn als ein rein
informationsverarbeitendes System ansieht, liefern uns die
Weisen Indiens eine wesentlich umfassendere und tiefer
gehendere Sichtweise. In den alten indischen Schriften wird
ein Modell des Menschen vorgestellt, in welchem dieser in
vier Körper (physisch, subtil, kausal und superkausal)
unterteilt wird. Die Seele (Atma)
und die Überseele (Paramatma)
befinden sich im Kern des menschlichen Bewusstseins. Die
Seele ist ist reines Bewusstsein, eine Reflexion des
Paramatma
und jenseits aller
Gedanken und Handlungen. Sie vollbringt alle Handlungen mit
Hilfe der Instrumente der Aufmerksamkeit
(Chitta),
dem nächsten Element in der Handlungskette zum Intellekt
(Buddhi),
dem Verstandes/Emotionssystem (Mana),
dem Gehirn und den Sinnen. Daraus lässt sich die Bedeutung
der Aufmerksamkeit im Bewusstsein des Menschen erahnen.
Wunsch
und Wille
Ein Wunsch wird auf der menschlichen Ebene meist durch
Bedürfnisse verursacht und wirkt als Stimulus für den
Willen. Der Wunsch aktiviert also den Willen und richtet
ihn auf ein bestimmtes Ziel. Die Folge davon ist ein
bestimmter Handlungsablauf, welcher das gewünschte
Bedürfnis erfüllen soll. Um die gewünschten Handlungen
ausführen zu können, stellen die Sinne eine Verbindung
zwischen der äußern Welt und dem Gehirn/kognitiven System
her. Dieses wiederum aktiviert verschiedene Module, um eine
direkte Verbindung des Gehirns mit den jeweiligen Organen
zu bewerkstelligen.
Das Gehirn kann aber nicht alle von den Sinnen gelieferten
Signale zur gleichen Zeit verarbeiten. Um Verwirrung zu
vermeiden, reagiert das Gehirn nur auf bestimmte Signale.
So können wir z.B. ein bestimmtes Objekt sehen, fühlen und
die dazugehörigen Geräusche hören, zur gleichen Zeit aber
nicht alle anderen Reize wahrnehmen, welche mit den
Sinnesorganen in Kontakt sind. Der Grund dafür ist die
selektive Arbeit der Aufmerksamkeit im Instrument des
menschlichen Bewusstseins.
Selektive
Aufmerksamkeit
Die Aufmerksamkeit wird also
durch die Seele aktiviert. Wenn wir als Menschen über ein
bestimmtes Objekt oder ein Thema Wissen erlangen wollen,
ist es notwendig, dass wir dieser Sache unsere
Aufmerksamkeit widmen. Dabei kann es sein, dass um uns eine
Vielzahl anderer Dinge ablaufen, welche wir nicht
wahrnehmen, weil unsere volle Aufmerksamkeit dieser einen
Sache gilt.
Nehmen wir die Arbeitsweise eines Radio- oder
Fernsehgerätes als Analogie, dann können wir die
Aufmerksamkeit mit dem Empfangsteil eines dieser Geräte
vergleichen. Wir müssen das Radio- oder Fernsehgerät auf
eine bestimmte Wellenlänge einstellen , wenn wir ein
Programm störungsfrei empfangen wollen. Obwohl zur gleichen
Zeit viele verschiedene Programme durch den Äther
schwirren, kann man doch nur das Programm hören oder sehen,
auf welches das Gerät eingestellt ist.
In der gleichen Weise stehen die Sinne des Menschen dauernd
in Kontakt mit ihrer Umwelt. Die Augen sehen Dinge, die
Ohren hören Töne, die Haut fühlt Objekte, die es berührt,
die Zunge berührt ihre Umgebung im Mund usw., aber wir
nehmen nur wahr, was in unserer Aufmerksamkeit ist. Jeder
hat erlebt, dass er etwas ansah, aber nicht wirklich
wahrnahm, weil es die Augen zwar sahen, unsere
Aufmerksamkeit jedoch wo anders war. Wir nehmen also nur
das wahr, worauf unsere Aufmerksamkeit gerichtet ist.
Die Qualität der Wahrnehmung wird durch unsere Erfahrungen
gefärbt. Es kann sein, dass Gedanken und Ideen in unserem
Gehirn auftauchen, wenn wir etwas Bestimmtes sehen.
Diese Reaktion
entsteht, da Ereignisse, Bilder und Gedanken in unserer
Erinnerung gespeichert sind. Wenn wir also etwas
wahrnehmen, das eine Beziehung zu einem abgespeicherten
Inhalt hat, verbindet dieser Mechanismus das abgespeicherte
Ereignis mit der Gegenwart und bringt es so in unsere
gegenwärtige Aufmerksamkeit.
Erinnern wir an unseren Radioempfänger oder Fernsehgerät,
so wissen wir, dass es an solchen Geräten einen
Einstellknopf gibt, um das Gerät auf eine bestimmte
Wellenlänge einstellen zu können. In der Praxis wird durch
Drehen oder Drücken eines Bedienteiles ein elektronischer
Schaltkreis aktiviert, welcher einen Frequenzwähler
ansteuert. Dadurch wird sozusagen ein Tor geöffnet, durch
welches jemand Autorisierter eintreten kann. Im Fall des
Radios oder Fernsehgeräts bedeutet dies, dass die passenden
Frequenzen den Empfangsteil passieren können und an andere
Teile des Gerätes weitergeleitet werden, um dort Ton- oder
Bildaufzeichnungen zu liefern.
Unsere Aufmerksamkeit funktioniert wie ein Eingangstor. Sie
selektiert, welche Gegenständen der Zutritt zu unserem
Bewusstsein erlaubt ist, um dort das durch die Sinne
Aufgenommene verstehen zu können. Die Aufmerksamkeit
oder Chitta
lässt also nur
durch, was sich im Feld unserer Aufmerksamkeit befindet, um
von unserem kognitiven System erkannt und aufgezeichnet
werden. Shri Mataji verglich diesbezüglich die
Aufmerksamkeit mit einer Filmleinwand.
Die Seele des Menschen (Atma)
ist die Reflexion
der Überseele (Paramatma),
des Ursprunges
aller Existenz. Die Aufmerksamkeit, der Intellekt und das
Verstandes/Emotionssystem existieren, solange sich die
Seele und Überseele im Körper befinden.
Die Kraft der Aufmerksamkeit
(Chitta-Shakti)
Chitta
ist ein wichtiges
Werkzeug des Göttlichen. Da alles Wissen mit Hilfe der
Aufmerksamkeit erlangt wird, ist eine kraftvolle und
erleuchtete Chitta
von großer
Bedeutung. Diese Kraft wird Chitta-Shakti
genannt und
arbeitet wie ein Signalfeuer der universellen
Bewusstseinsenergie, des Param
Chaitanya.
Worin besteht die Natur des Chitta?
Bemühen wir noch einmal die Technik als Analogie. Wir haben
vorhin die Aufmerksamkeit mit einem Tuner/Empfangsteil
verglichen. Ein aktiver Tuner strahlt auch Energie ab. Bei
einem Radargerät geschieht dies, um andere Objekte sichtbar
zu machen. Bei Erleuchtung der Seele wird auch die
Chitta
erleuchtet und mit
universeller Bewusstseinsenergie gefüllt. Eine
aktive Chitta
kann so
Bewusstseinsenergie ausstrahlen und ein Objekt füllen,
genau wie Radar ein Ziel mit Radioenergie füllt. Die
Chitta
ist also
gleichzeitig Sender und Empfänger universeller
Bewusstseinsenergie. Da diese Energie, das
Param
Chaitanya, die ganze Schöpfung
durchdringt, kann eine erleuchtete Aufmerksamkeit jede
Aufgabe in der Schöpfung vollbringen.
Wunsch,
Wille, Aufmerksamkeit und Sahaja Yoga
Wie bereits erklärt
wurde, geht es im Yoga
darum, die
Vereinigung des individuellen Bewusstseins mit dem
kosmischen Bewusstsein zu erreichen. In der Praxis
geschieht dies durch die Erweckung der Kundalini.
Sie stellt die Verbindung zwischen Seele und Überseele her.
Die Kundalini
ist die Reflexion
der Urkraft Adi
Shakti und damit der Ursprung der
gesamten Schöpfung. Sie ist der reine Wunsch und damit der
Same des Yoga.
Ihr Wille ist die Ursache aller Geschehnisse innerhalb der
Schöpfung. Es ist die universelle Bewussteinsenergie
Param
Chaitanya, welche sich bei der Erweckung
der Kundalini
in der Form von
kühlen Vibrationen manifestiert.
Meditation ist der
Weg um die individuelle Aufmerksamkeit mit dem Ganzen
(dem Virata)
zu verbinden und so eins mit der Schöpfung zu werden. Die
erleuchtete Aufmerksamkeit bewegt sich automatisch in
Richtung Sahasrara
Chakra und schließlich jenseits davon
in Richtung Virata.
Die erwachte Seele vereinigt sich nach der Erweckung
der Kundalini
im
Sahasrara
mit dem Göttlichen,
wodurch sich die Aufmerksamkeit mit göttlichem
Amrut,
den Vibrationen der Seligkeit füllt. Infolge dieses
Ereignises stabilisiert sich die Aufmerksamkeit vollends
und führt so das Individuum vom gedankenfreien zum
zweifelsfreien Bewusstsein (Samadhi).
Der Wunsch gilt als Same der Schöpfung. Gerät die
Wunschkraft in Bewegung, bewegt sie sich in Richtung der
Ausführung des Wunsches, wird sie zum Willen. Durch den
Wunsch Sadashivas
wurde sein Wille
geboren – die Urkraft und Urmutter, die
Adi
Shakti,
welche die Schöpfung aus der universellen
Bewusstseinsenergie Param
Chaitanya schuf. Param
Chaitanya ist der Wille der
Adi
Shakti.
So kommt es philosophisch gesehen vom Wunsch zur Handlung.
Alles was in einem Menschen geschieht, beginnt mit dem
Auftauchen eines Wunsches. Wissenschaftlich gesehen, führen
Wünsche zu einer Kette von Signalen, welche das
Gehirn/Verstandessystem aktivieren. Nach der indischen
Philosophie wird die Wunschkraft durch Shri
Mahakali, als geistiger Wesenheit
gesteuert. Sie regiert und kontrolliert den
Ida
Nadi,
d.h. auf der physischen Ebene das linke sympathische
Nervensystem und das Superego und ist daher der Ursprung
von Bhakti
und Hingabe im
Menschen. Die Handlung und somit der Pingala Nadi, das
rechte sympathische Nervensystem wird durch
Shri
Mahasaraswati
kontrolliert.
Dieser Energiekanal ist der Ursprung des Egos.
Im Menschen wird
das gesamte Wissen um die Wirklichkeit durch das Instrument
der Aufmerksamkeit erlangt. Die Aufmerksamkeit, speziell
die erleuchtete Aufmerksamkeit, ist das kraftvollste
Werkzeug zur Erweckung des Zentralkanals, der
Mahalakshmi-Kraft
im
Sushumna,
welche das Gleichgewicht des parasympathischen Nervensystem
regelt.
Mit Hilfe der Aufmerksamkeit kann ein Yogi unbegrenzte
Kräfte erlangen. Die Aufmerksamkeit arbeitet innerhalb der
drei Kanäle, weshalb es erforderlich ist, diese Kräfte in
absoluter Balance zu halten. Die Kundalini ist unser
Werkzeug um dieses Gleichgewicht zu halten. Durch ihre
Erweckung werden die Nadis und Chakras von Energie
durchdrungen und erleuchtet.
Um in der Meditation Tiefe zu erlangen und so in spirituell
wachsen zu können, ist es erforderlich zu verstehen, wie
die Wunschkraft und die Aufmerksamkeit arbeiten. Sowohl
unterdrückte als auch übertriebene Wünsche verursachen ein
Ungleichgewicht im System. Ist die Aufmerksamkeit
bruchstückhaft, führt dies zur Zerstreuung von vitaler
Energie. Um spirituell wachsen zu können und durch
Yoga Samadhi-Bewusstsein
zu erreichen, ist ein balancierter Wunsch und eine
erleuchtete Aufmerksamkeit erforderlich.
Nach einem Kapitle von Sahaja Yoga Book 3 von Dr. Sharma
Übersetzt und bearbeitet von Siegi H. und S.J.