bhagatnamdev

Namadeva (1270 – 1350)

Im späten 13. Jahrhundert lebten in Maharashtra, Indien etliche große Heilige. Viele von ihnen waren Zeitgenossen und Freunde Jnanadevas. war Namadeva.

Namadeva wurde in einer Schneiderfamilie in Pandharpur geboren. Bevor er zu einem glühenden Verehrer Gottes wurde, verdingte er sich allerdings als Straßenräuber. Ein Erlebnis bei einem Tempelbesuch löste einen Gesinnungswandel bei Namadeva aus: Er sah eine Witwe, die ihr Kind schlug, weil es nach den Süßspeisen gegriffen hatte, welche der Tempelgottheit Shri Vitthala als Opferspeise angeboten worden waren. Als er die Frau nach dem Grund der strengen Bestrafung fragte, antwortete sie, dass ihr Ehemann durch grausame Räuber getötet worden war und sie alleine und ohne jede Unterstützung ihre Kinder aufziehen müsse. Plötzlich dämmerte es Namadeva, dass er den Mann getötet hatte. Von plötzlicher Reue übermannt, beschloss er für seine Sünden zu büßen und sein Leben zu Füßen der Gottheit zu verbringen. Beschämt ging er also in den Tempel, trat vor die Tempelgottheit und stieß sich reumütig ein scharfes Messer in die Hand. Als er sein Blut vor der Tempelgottheit vergoss, hörte er plötzlich eine Stimme, die ihm auftrug nach Pandharpur zu gehen. Namadeva folgte der Anweisung und begab sich Pandharpur, wo er den Tempel aufsuchte und vor die Statue Shri Vitthalas trat. Plötzlich verlor er sein Körperbewusstsein und wurde vollkommen vom Göttlichen absorbiert. Das Erlebnis verwandelte Namadeva vollkommen und so wurde aus dem Räuber ein tiefer Bhakta, ein Verehrer Gottes
1. Namadeva verbrachte einen Großteil seiner Zeit damit, Gott im Tempel zu dienen und Gottes Lob zu singen.

Eines Tages machten sich einige Heilige, unter ihnen auch Jnanadeva, einen Spaß daraus, Namadeva wegen seiner Bindung zu diesem Tempel aufzuziehen. Verletzt und entmutigt rannte Namadeva in den Tempel, um in den Armen seines Herrn Zuflucht zu suchen. Er konnte nicht verstehen, dass solch große Seelen seine Art der Gottesliebe in Frage stellen konnten und so weinte er bitterlich. Shri Vitthala, der dem teuren Verehrer immer wieder persönlich erschien, tröstete ihn und trug ihm auf, nach Amvadya zu gehen um dort den bekannten Weisen Vishobakesha aufzusuchen. Unter vielen Tränen und nur widerwillig gehorchte Namadeva schließlich dem Wunsch seines Herrn und trennte sich von seinem geliebten Tempel. Nach drei Tagen erreichte er Amvadya, wo er von den Dorfbewohnern zu einem Shivatempel am Rand des Dorfes geleitet wurde, in welchem Vishobakesha lebte.

Namadeva betrat den Tempel, konnte aber vorerst niemanden sehen. So ging er weiter und warf einen Blick in den Schrein. Was er sah, ließ ihn erschauern. Da lag doch tatsächlich ein alter Mann mitten im Allerheiligsten und noch dazu mit seinen Füßen auf dem Shiva-Linga
2 ruhend. Namadeva war ob dieser Respektlosigkeit schockiert. Sollte das der große Heilige sein, wegen dem er drei Tage von hierher gegangen war? Aber der Herr hatte ihn doch hierher gesandt! Namadeva verstand immer weniger. Verärgert stürzte er zum Alten hin, weckte ihn grob und befahl ihm seine Füße vom Symbol des Herrn herunter zu nehmen. Der Alte blieb jedoch ganz gelassen und antwortete: „Ich bin alt und schwach, bitte hebe meine Füße auf und gib sie irgendwo hin, wo der Herr nicht ist.“

Namadeva ließ sich das nicht zwei Mal sagen. Er nahm die Füße des Alten, hob sie eilig vom Lingam weg und legte sie neben der Steinsäule auf den Boden. Zu seiner Überraschung wölbte sich jedoch ein neuer Lingam aus der Erde, um dem Alten als Fußstütze zu dienen. Wieder hob Namadeva die Füße zur Seite, aber was er auch versuchte, es war zwecklos und bald war der gesamte Raum mit Lingams übersät. So legte sich Namadeva in seiner Machtlosigkeit mit einem tiefen Seufzer die Füße des Alten selbst auf den Kopf. In diesem Moment erkannte er die alles durchdringende Natur des höchsten Selbst und erfuhr die Erleuchtung. Beschämt begriff er seine Ignoranz, fiel dem Alten vor die Füße und bat um seinen Segen. Der Weise lächelte und sagte: „Der Ozean des Samsara ist unermesslich. Es ist unmöglich dieses Meer mit eigenen Anstrengungen zu durchqueren. Du musst ein starkes Boot und den besten Seemann haben, um hinüber zu kommen. Hingebungsvolle Lieder zum Lob des Herren sind das stärkste Boot und Lord Vitthala ist dein sicherer Seefahrer. O Namadeva, versuche zu verstehen, dass jener namen- und formlose Gott sogar in den winzigsten Objekten anwesend ist und dennoch das gesamte Universum und alles darüber hinaus bewohnt. Die Seligkeit deines eigenen Selbst befindet sich in dir. Erlange Weisheit und Losgelöstheit, dies wird dich zum form- und eigenschaftslosen Brahman, dem allmächtigen Gott, führen. Du sagst, dass du Gott gesehen hast, aber das ist nicht korrekt. So lange das ‚Ich’ und ‚mein’ nicht abgelegt sind, ist das höhere Selbst in dir nicht verwirklicht!“

In der Folge meditierte Namadeva unter der Anleitung Vishobakeshas und erreichte so die Gottesverwirklichung. Dabei folgte er der Praxis der Nath-Yogis, welche mit Hilfe der Kundalini-Energie die sieben subtilen Energiezentren erleuchten und nachdem diese mütterliche Kraft das Agnya-Chakra durchdrungen hat, im tausendblättrigen Lotus des Sahasrara Chakras ihre wahre, göttliche Natur erfahren.

Das Erlebnis hatte Namadeva verändert. Er konnte nun in allem die Anwesenheit des Herrn sehen, das Selbst in allen Wesen. Als er Pandharpur erreichte, begab er sich sofort nach Hause, ohne seinen geliebten Tempel zu besuchen. Nachdem Namadeva vier Tage lang nicht im Tempel war, erschien Lord Vitthala selbst beim Haus seines Verehrers und klopfte an dessen Tür. „Mein lieber Namadeva!“ rief er, „öffne die Tür! Wo bist du nur so lange gewesen, ich habe dich schon vermisst!“ Aber Namadeva öffnete nicht und rief: „Mein lieber Herr, ich habe dein Spiel durchschaut. Du kannst mich nicht mehr zum Narren halten indem du mich glauben lässt, dass der Tempel der einzige Ort sei, an dem ich dich treffen kann. Jetzt habe ich erkannt, dass es nichts außerhalb von Dir gibt!“ Lord Vitthala lachte, sprach einen Segen und kehrte in seinen Tempel zurück.

Namdev

Die Geschichte von Namadeva und Parissa Bhagavat

In der Nähe von Namadevas Haus lebte zu dieser Zeit ein Brahmane, der Parissa Bhagavat hieß. Er wurde so genannt, weil er von der Göttin Rukmini einen Parissa erhalten hatte (einen magischen Stein, welcher durch Berührung Eisen in Gold verwandeln kann). Der Brahmane hing sehr an diesem Stein und trug seiner Frau Kamalaja auf, ihn sorgfältig verborgen zu halten und niemandem davon zu erzählen. Kamalaja war jedoch mit der Gemahlin Namadevas eng befreundet und als Rajai einmal über die armseligen Verhältnisse in ihrem Haushalt klagte, zeigte ihr Kamalaja den Parissa und verwandelte einige Kannen in Gold um so ihrer Freundin zu helfen. Einmal lieh sie Rajai den Stein sogar und bald darauf überraschte die Frau des Heiligen ihren Gemahl mit einem aufwendig zubereiteten Mahl. Der verlangte jedoch eine Erklärung und weigerte sich zu essen, bis ihm seine Gemahlin reumütig erzählt hatte was passiert war. Namadeva begab sich daraufhin zum Hause Parissa Bhagavats und verlangte den zauberkräftigen Stein zu sehen. Verunsichert zeigte Kamalaja dem Heiligen den Stein, der ihn zu ihrer Bestürzung kurzerhand in den Fluss warf. Es dauerte nicht lange bis Parissa Bhagavat erfahren hatte, was geschehen war. Wütend verlangte er vor dem Haus Namadevas seinen zauberkräftigen Stein zurück und klagte den Heiligen lautstark des Diebstahls an. Das Geschrei des Brahmanen hatte zur Folge, dass sich die Nachbarn um das Haus Namadevas versammelten und gespannt warteten was wohl passieren würde. In seinem Zorn diffamierte der Brahmane Namadeva öffentlich und nannte ihn einen Betrüger, der nur vorgebe ein Heiliger zu sein. Namadeva blieb jedoch ganz ruhig und sagte: „Wenn dir dieser Parissa so viel bedeutet, dann werde ich zum Fluss gehen und dir deinen Stein zurückbringen.“ In der Folge tauchte der Heilige ins Wasser und kam mit einer Handvoll Steine wieder ans Ufer zurück. Er übergab sie Parissa Bhagavat, damit dieser nachsehen könne, ob sein magischer Stein dabei sei. Zur Überraschung des Brahmanen stellte sich heraus, dass alle Steine Parissas waren. Im gleichen Moment erkannte er wie dumm er sich in seinem Sehnen um die flüchtigen Reichtümer dieser Erde benommen hatte, anstatt den immerwährenden Segen Gottes zu suchen. Dieser Erkenntnis gewahr, warf er alle Steine in den Fluss zurück und fiel Namadeva zu Füßen. Später wurde Parissa Bhagavat als glühender Verehrer Gottes bekannt, an dessen Lieder, die Abhangas3 man sich noch heute erinnert.

Namadeva kombinierte sein Yoga mit Bhakti. Er wusste, dass gewöhnliche Menschen ein sichtbares Symbol brauchen, das sie anbeten können und setzte daher die Verehrung Shri Vitthalas fort. Bhakti bedeutet höchste Gottesliebe, ob ‚Saguna’ (persönliche Gottesvorstellung) oder ‚Nirguna’ (formlos) ist ohne Bedeutung. Das größte Hindernis für die Sammlung des Geistes ist das schwankende Gemüt und ohne Hingabe führt auch der Besitz aller anderen Tugenden nirgendwo hin. Gott kann nicht durch verbales Wissen, sondern nur durch direktes Erleben erkannt werden.

Die Poesie Namadevas ist auch für den gewöhnlichen Menschen einfach zu verstehen, reich an spirituellem Wissen und voll von Hingabe. Namadeva schrieb über 2000 Gedichte in Marathi und 337 in Hindi. Sie decken eine breites Spektrum an Themen ab, wie z.B. die Lebensgeschichten von Shri Krishna und Shri Rama oder die Verehrung Shri Shivas und Shri Vithalas, Berichte von Pilgerfahrten und über das Yoga der Meditation. Seine Werke verbreiteten sich bis in den Punjab und sind in der Guru Granth Sahib, der heiligen Schrift der Sikh zu finden. Hier ein Gedicht, welches sich auf die Kundalini bezieht:

Durchdringe die sechs Chakras
Und steige auf
Höre auf die göttliche Melodie, die erklingt
Durch welche die Gedankenflut verebbt
Und erkenne, dass nur diese Praxis Früchte bringt.

1 Bhakti: skrt. ‚Liebe zu Gott, Hingabe an den Guru und das erwählte Ideal’. Im Gegensatz zur philosophischen Richtung der Advaita Vedanta, führt bei Bhakti-Marga der Weg zur Erlösung über die liebende Hingabe und Anbetung eines persönlichen Gottes.
2 Linga: auch Lingam; meistens eine Steinsäule mit welcher Shri Shiva symbolisch verehrt wird.
3 Abhangas: Heilige Schriften oder Lieder zur Verehrung Gottes; durchgehende Verse mit Ausdehnung auf das berühmte Ovi-Metrum.