Johanna
von Orleans
„Man
muss sich klarmachen, wie großartig und einmalig das ist: Seit es
eine Geschichtsschreibung gibt, hat Jeanne d’ Arc als
einziger Mensch, ob männlichen oder weiblichen Geschlechts, im
Alter von 17 Jahren die oberste Befehlsgewalt über die
militärischen Streitkräfte einer ganzen Nation gehabt.“ Lajos
Kossuth
"Von Jeanne konnte man ganz richtig sagen, dass sie nicht Wunder
gewirkt hat, sondern selbst ein Wunder war". Régine
Pernoud
Wenn eine Frau sich heute durch großen Mut auszeichnet, bezeichnet
man sie als „Jeanne d’ Arc“, doch tatsächlich
reicht niemand an sie heran. Ihr eigentlicher Name war laut
historischer Quellen „Jeanne Darc.“ Sie selbst nannte
sich immer „Jeanne La Pucelle“ (Johanna die Jungfrau),
bekannter ist sie allerdings unter dem Namen „Jeanne d’
Arc“. Später nannte man sie „Johanna von
Orleans“.
Der Hundertjährige Krieg
Die Geschichte des hundertjährigen
Krieges ist als kurze Vorgeschichte von großer Bedeutung, um das
Auftreten von Jeanne d’ Arc zu verstehen. Dieser für
Frankreich so verheerende Krieg mit England begann 1337. 1328 war
der französische König Karl IV, der letzte aus dem Hause der
Kapetinger, ohne Thronfolger gestorben. Nach salischem Erbrecht
bestieg nun sein Cousin väterlicherseits, Philipp von Valois als
Philipp VI den Königsthron. Der englische König Eduard III war mit
Isabella, der Schwester des verstorbenen französischen Königs,
verheiratet. Das Erbrecht schloss weibliche Thronansprüche aus.
Dennoch versuchte England nun aus dieser ehelichen Verbindung
Thronansprüche abzuleiten. England hatte außerdem noch eine letzte,
kontinentale Besitzung in Frankreich, die Guyenne mit der
Weinhandelsstadt Bordeaux. Um die auf tönernen Füssen ruhenden
Thronansprüche durchzusetzen, forderte Eduard III Unterstützung von
den niederländischen und deutschen Fürsten. Darauf besetzte Philipp
VI kurzerhand die Guyenne. Dadurch brach der sogenannte
Hundertjährige Krieg zwischen England und Frankreich aus. 1340
wurden die Franzosen in der Schlacht von Poitiers von den Briten
vernichtend geschlagen und Eduard III erklärte sich zum König von
Frankreich. Der Krieg wogte jedoch weiter. Der nächste französische
König, Karl V eroberte alle verlorenen Landesteile wieder zurück,
doch dies änderte sich alles bald wieder unter seinem
schwachsinnigen Nachfolger Karl VI, der Isabeau von Bayern
geheiratet hatte. 1415 besiegten die Briten in der furchtbaren
Schlacht von Acincourt die Franzosen. Der größte Teil des
französischen Adels fiel auf dem Schlachtfeld oder geriet in
Gefangenschaft. 1418 geriet Paris durch Verrat in die Hand von
Johann ohne Furcht von Burgund. Im Kampf um die Macht ließ der
Burgunderherzog den Bruder des schwachsinnigen Königs, Philipp
Herzog von Orleans, in Paris ermorden. Der regierungsunfähige König
selbst kam nach dieser Tat unter die Kontrolle von Burgund, das
sich später auf die Seite Englands schlug. Der amtierende Dauphin
(Thronfolger) Karl konnte während der Thronwirren in letzter Minute
in Sicherheit gebracht werden. Er hatte eine fürchterliche Jugend
hinter sich. Sein wichtigster Ratgeber war der arglistige Duc de
Trémouilles, der ein Agent Burgunds gewesen war. Kein Wunder, dass
er bei wichtigen Entscheidungen oft zu lange zauderte, denn er
traute nur noch wenigen. Bei einem späteren Treffen Johanns ohne
Furcht mit dem arglosen Dauphin Karl VII wurde der Herzog von
Burgund von den rachsüchtigen Anhängern des ermordeten Herzogs von
Orleans ebenfalls überraschend meuchlings umgebracht. Ob der
Dauphin über das Komplott unterrichtet war oder nicht, ist
umstritten, aber man gab ihm alle Schuld. Er konnte seine Unschuld
beteuern, so oft er wollte, niemand wollte ihm glauben. Dennoch
hatte der Himmel den Dauphin auserwählt König von Frankreich zu
werden. Johanns Sohn und Nachfolger Philipp der Gute von Burgund
verbündete sich nach der Ermordung seines Vaters mit England und
erkannte den König von England auch als den rechtmäßigen König von
Frankreich an, obwohl das Herzogtum Burgund eigentlich zu
Frankreich gehörte. Der Vertrag von Troyes (1420) bestätigte dem
englischen König den angeblichen Anspruch auf Frankreichs Thron.
Königin Isabeau erklärte, dass der amtierende Dauphin und spätere
König Karl VII kein legitimer Spross Karls VI. sei, was aber nicht
den Tatsachen entsprach. Restfrankreich anerkannte den Dauphin
trotzdem als legitimen Thronfolger. Die Herzoge von Burgund waren
ebenso ein Zweig des Hauses Valois, wie die Herzoge von
Orleans.
Das Erscheinen der Jungfrau von Orleans
Nachdem die Stadt Orléans 1428 von den englischen und burgundischen
Truppen eingeschlossen war, schien das Ende Frankreichs besiegelt.
Der französische Dauphin blieb untätig und es entstand das Gerücht,
er wolle fliehen oder ins Exil gehen. Ein Großteil des Landes war
von den britischen Invasoren und den Burgundern besetzt. Das Land
war verwüstet, überall lagen Trümmer, gesegnete Landstriche waren
zu Einöden verkommen. Das Volk war verzweifelt und hoffte auf einen
Retter. Doch da gab es eine Prophezeiung, dass ein Mädchen aus
Lothringen dem Volke Befreiung bringen sollte und diese Voraussage
sollte bald Wirklichkeit werden. Dieses sehr fromme Mädchen mit dem
Namen Jeanne wurde 1412 geboren und lebte bei ihren rechtschaffenen
und angesehenen Eltern, Jacques und Isabelle Darc, im
lothringischen Dorfe Domrémy an der Maas. Jeanne führte mit ihrer
Mutter den Haushalt der Bauernfamilie und gelegentlich hütete sie
wohl auch die Schafe. Johanna war in ihrem Heimatort sehr beliebt
und galt als sehr fromm. Jeanne kannte durchaus auch die Gräuel des
Krieges und pflegte selbstlos Verwundete. Wenn einer in Not war,
gab sie ihm, was sie hatte und wenn der Betreffende krank war, gab
sie ihm ihr eigenes Bett, schlief auf dem Boden und versorgte ihn.
Der Pfarrer von Roncessey, einer Nachbargemeinde von Domrémy,
erklärte, dass der Pfarrer von Jeannes Heimatdorf, Guillaume Front,
zu dessen Pfarrkindern Jeanne gehörte, über sie sagte, dass Jeanne,
die Jungfrau, „ein einfaches, gutes, frommes Mädchen war,
unbescholten und gottesfürchtig, wie es ihresgleichen in Domrémy
nicht gab.“ (Régine Pernoud 1992,106).
1423, im Alter von 13 Jahren hatte
Jeanne erstmals Visionen vom Erzengel Michael, der Heiligen
Katharina (von Alexandria) und der Heiligen Margarethe, die sie
berieten, wie sie ihr Leben gestalten sollte. Sie legte vor ihnen
das Gelöbnis ab, zeitlebens Jungfrau zu bleiben. Die Heiligen
sagten Jeanne, dass sie die Stadt Orleans für Frankreich befreien
und den Dauphin in Reims, der alten Krönungsstadt, zum König krönen
würde. Jeanne, oder Jeanette wie sie von ihrer Familie genannt
wurde, fürchtete sich sehr vor dem göttlichen Ansinnen. Doch im
Laufe der Zeit erkannte sie, dass sie ihrem Schicksal nicht
entrinnen konnte. Endlich war sie fest entschlossen, das zu tun,
was Gott von ihr verlangte.
Das Auftreten von Jeanne d’ Arc brachte die Wende im
„Hundertjährigen Krieg“ zwischen Frankreich und
England. Jeanne wusste gut, dass ihr Vater Jacques sie nie in den
Krieg ziehen lassen würde, hätte sie ihm von ihrem Vorhaben
erzählt. Ihr Vater hatte mehrfach geträumt, dass sie mit den
Soldaten, wohl als Marketenderin, wegziehen würde und wollte ihr
das auf jeden Fall verwehren. Aber er hätte es sich wohl nicht im
Traum vorstellen können, dass seine Tochter an der Spitze eines
Heeres im Krieg gegen die Engländer ziehen würde.
Zu Beginn ihrer Aufgabe rieten die Heiligen, dass Jeanne zur
Festung Vaucouleur gehen sollte, um den Kommandanten Robert de
Baudricourt zu sprechen, der sie dann zum Dauphin senden würde.
Also bestürmte Jeanne ihren Onkel Durand Laxart, sie nach
Vaucouleur zu bringen. Vaucouleur lag an der Maas und war Hauptort
der königlichen Burggrafschaft in der Champagne, seit 1420 unter
dem Befehl von Robert de Baudricourt, dem Hauptmann der
Valois-Dynastie. Schließlich gab Jeannes Onkel nach und brachte
sie, im Mai 1428 ohne Wissen der Eltern, nach Vaucouleur. De
Baudricourt, der Kommandant in der Festungsstadt Vaucouleur, wollte
ihr anfangs keinen Glauben schenken, obwohl man die Prophezeiung
kannte, dass eine Jungfrau aus Lothringen die Rettung Frankreichs
bringen würde. Die Zeit verstrich. Inzwischen begannen viele Bürger
in Vaucouleur an die Jungfrau zu glauben und der Herzog von
Lothringen wollte sie sogar sehen und von ihr geheilt werden. Es
ist heute noch ungeklärt, warum de Baudricourt plötzlich seine
Meinung änderte, jedenfalls schickte er einen Boten mit einem
Schreiben nach dem Schloß Chinon, wo der Dauphin weilte. In seinem
Schreiben an den Dauphin wandte er alle Überredungskunst an, um
diesen von der Gottgesandten zu überzeugen, obwohl er selbst
eigentlich gar nicht so recht an Jeanne glaubte. Vielleicht ist es
wirklich wahr, dass ihm Jeanne sagte, dass um Orleans eine
furchtbare Schlacht toben würde, was sich im Nachhinein
bestätigte.
Der Dauphin stand unter dem Einfluss
von La Trémoille, einem verräterischen Berater, aber im Grunde war
der Dauphin ein guter Mensch. Angesichts seiner aussichtslosen Lage
suchte er das Vergessen und es mangelte ihm an der erforderlichen
Entschlusskraft. Er ersehnte göttliche Hilfe und war oft im Gebet
in der Hofkapelle. Und so kam es, dass er nach dem Erhalt der
Botschaft den Ritter Colet de Vienne mit einem entsprechenden
Schreiben zu de Baudrocourt schickte, mit dem Befehl, die Jungfrau
zu senden. Der bösartige Trémoille überschüttete ihn deswegen mit
zornigem Spott. Natürlich kannte auch der Dauphin die Prophezeiung,
dass eine Frau (seine Mutter Isabeau) Frankreich zerstören und eine
andere aus Lothringen das Reich retten würde.
Im Oktober 1428 hatte die Belagerung der Stadt Orleans an der Loire
durch die Engländer und Burgunder begonnen und die Situation der
belagerten Stadt wurde im Februar 1429 immer bedrohlicher. Eine
große Schlacht, die sogenannte Heringsschlacht, endete mit der
Niederlage der Franzosen. Bald darauf erklärte sich de Baudricourt
bereit, mit Jeanne zu sprechen. Er liess Jeanne durch den Pfarrer
in Vaucouleur prüfen, welcher sie für rein befand.
Gegen Mitte Februar 1429, nachdem der königliche Bote eingetroffen
war, konnte Jeanne endlich mit einer kleinen Eskorte zu ihrem
Dauphin abreisen. In ihrer Begleitung befanden sich sechs Männer,
die Ritter Jean de Nouillonpont, genannt de Metz, der Jeanne auch
zum Herzog von Lothringen begleitet hatte, Bertrand de Poulengey,
Colet de Vienne, der Bote des Dauphins und drei Knechte. Man hatte
Jeanne, auf eigenen Wunsch, in Vaucouleur Männerkleidung gegeben,
und sie erhielt von de Baudricourt ein Pferd und ein Schwert. Beim
Abschied waren seine letzten Worte: „Nun geh, und komme, was
daraus kommen mag!“
Der Weg der Eskorte führte durch englisch besetztes und
burgundisches Gebiet. Auf dem Reiseweg bestand ständig die Gefahr
von Burgundern, Engländern oder marodierenden Banden überrascht zu
werden. Aber Gott behütete sie und ihre Begleiter, obwohl es schon
Mitte Februar Gerüchte gab, dass „Johanna die Jungfrau“
Chinon nahte. Am 6. März sahen sie das Schloss in Chinon, wo der
Dauphin residierte. Die Karte von 1429 zeigt, welchen gefährlichen
Weg Jeanne und ihre Begleiter in Feindesland durchqueren mussten.
Die Reise dauerte elf Tage.
Um diese Zeit war auch Jeanne d’ Arc’s heimatliches
Dorf bereits unter der Kontrolle von Burgund. Aus den
Zeugenaussagen im Rehabilitationsprozess wissen wir, dass eine
feindliche Abteilung im Hinterhalt Jeanne und ihrer Reisegruppe
auflauerte. Aber als sie sich auf die Jungfrau und ihre Begleiter
stürzen wollten, konnten sie sich nicht bewegen (Schirmer-Imhoff
2001, 148f.). Nach 150 Orten, die sie berührten, schrieb Johanna
einen Brief an den Dauphin und kündigte ihr Eintreffen an.
In Chinon und Poitiers
Zunächst zögerte der Dauphin das Mädchen anzuhören. Der Dauphin war
zu dieser Zeit gerade 26 Jahre alt. Er litt sehr unter der
Behauptung, dass er nicht legitimer Abkunft sei. Er war ängstlich
und oft sogar melancholisch. Erst in späteren Jahren wurde er ein
kluger und umsichtiger Herrscher. Über die erste Begegnung zwischen
Jeanne d'Arc und dem Dauphin gibt es viele Legenden. Nach Jeannes
eigener Aussage erfolgte die erste Begegnung im fackelerleuchteten
Saal des Schlosses in Anwesenheit von etwa 300 Edelleuten. Bei
dieser öffentlichen Audienz erkannte Jeanne den Dauphin, obwohl er
sich versteckt hatte, nach dem Rat ihrer Heiligen. Einer der
Vertrauten des Dauphin, Raoul de Gaucourt, schilderte später, wie
sie sich dem Dauphin mit viel Demut und Bescheidenheit vorstellte.
Sie nannte sich von da ab nur noch „Jeanne la Pucelle“
(Johanna die Jungfrau). Sie erklärte, dass sie der König des
Himmels sende und sie in Seinem Auftrag Orleans entsetzen wolle,
und dass der Dauphin danach in Reims gesalbt und zum König gekrönt
werden sollte. Nach verschiedenen Fragen sagte ihm Jeanne
ostentativ, dass er der wahre Erbe Frankreichs und Sohn des Königs
Karl VI. sei. Jeanne soll dem Dauphin auch unter vier Augen von
drei Bitten erzählt haben, die er in der Kapelle zu Loches an Gott
gerichtet hatte, von denen also nur Gott wissen konnte.
Der Dauphin ließ Jeanne im Schloß Coudray einquartieren und gab ihr
den 15jährigen Louis de Contes als Pagen, was darauf hindeutet,
dass er ihr mit Wohlwollen entgegen gekommen war. In den nächsten
drei Wochen machte sie viele neue Bekanntschaften mit einer Reihe
von hochgestellten Persönlichkeiten, die sich näher über sie
unterrichten wollten.
Bald danach gab der Dauphin Befehl, dass sie in Poitiers, dem Sitz
einer Universität, von hohen Geistlichen, Theologen, Juristen und
königlichen Räten geprüft und examiniert werden sollte. Jeanne, die
inzwischen müde von den vielen Befragungen war, musste sich jetzt
nochmals all diesen Fragen stellen und wurde ungeduldig. Dieses Mal
war sie keineswegs demütig, sondern schlagfertig und manchmal
impulsiv. Einer der Examinatoren fragte sie: Wenn Gott das
französische Volk retten wolle, warum würden dazu Soldaten
benötigt? Jeanne entgegnete: „Die Soldaten würden kämpfen und
Gott wird ihnen den Sieg schenken!“ Auch wurde sie
aufgefordert, dass sie ein Wunder tun solle, damit man ihrer
göttlichen Mission glauben schenken könne. Darauf erklärte sie,
dass sie nicht nach Poitiers gekommen sei, um Zeichen zu setzen.
Man möge sie nach Orleans schicken, wo sich das Zeichen ereignen
würde.
Der Dominikaner Seguin, der später ausführlich über die Befragungen
in Poitiers berichtete, erklärte, dass sie vier Ereignisse
prophezeite: den Sieg über die Engländer, die Befreiung der Stadt
Orleans, die Krönung des Dauphin in Reims und die Einnahme von
Paris und die Rückkehr des Herzogs von Orleans aus der
Gefangenschaft, welcher in der furchtbaren Schlacht von Azincourt
1415 in englische Hände geraten war. Seguin, der spätere Dekan der
Universität Poitiers, fügte im Rehabilitationsprozess hinzu, dass
alle Voraussagen sich erfüllt hätten, auch wenn die beiden
letzteren erst nach ihrem Tode eingetroffen seien. Die
Untersuchungen und Examinierungen in Poitiers ergaben nur Gutes;
sie bezeugten von Demut, Jungfräulichkeit, Ehrlichkeit und
Bescheidenheit. Die Doktoren erstellten ein Gutachten für den
Kronrat, das zwar nicht mehr erhalten, aber in seinen Grundzügen
überliefert ist. Auf Grund der Not des französischen Volkes rieten
die gelehrten Doktoren dem Tronfolger, dass er die Jungfrau mit
einem ehrenvollen Geleit und dem Heer nach Orleans senden und auf
Gott vertrauen sollte. Noch in Poitiers diktierte Jeanne einen
Brief an den König von England, Heinrich VI, und seinen Regenten in
Frankreich, den Herzog von Bedford. Sie forderte diese im Namen
Gottes auf, alle eroberten Städte an den französischen König
zurückzugeben, andernfalls werde sie alle Engländer aus dem Land
jagen.
Der Kronrat beschloss auch, eine Rüstung für die Jungfrau
anfertigen zulassen, und sie zu ihrem Schutz mit einem Gefolge
unter Jean d’ Aulons, ihrem von da ab ständigen Begleiter,
nach Orleans zu senden. Zu ihrem Gefolge gehörten auch ihre
früheren Begleiter Jean de Metz und Bertrand de Poulengy, zudem
noch ihr späterer Beichtvater Jean Pasquerel, welcher unbedingt an
ihre göttliche Sendung glaubte, sowie zwei Herolde und zwei Pagen.
Ihre nächste Station war Tours, wo die Schwiegermutter des Dauphins
residierte. Dort erhielt Jeanne ihre vollständige Ritterrüstung und
ihr Lilien-Banner mit der Aufschrift Jhesus-Maria. Weiter verlangte
sie hier noch ein besonderes Schwert. Sie wisse von ihren Heiligen,
dass dieses Schwert hinter dem Altar der Kapelle Sainte-Catherine
de Fierbois liege. Man schrieb den Pfarrer an, der dieses Schwert
tatsächlich hinter dem Altar fand.
Die
Entsetzung von Orleans
„Die Entsetzung von Orleans war weniger dem militärischen
Eingreifen der Truppen des Königs und der großen Herren zu
verdanken als dem Charisma der Jungfrau“, so Gerd Krumeich.
Seit dem sog. Heringstag, am 12. Februar 1429, bei dem das
königliche Heer eine große Niederlage erlitt, hatte sich die
Situation der von Engländern und Burgundern belagerten Stadt
Orleans immer mehr zugespitzt. Auf den verschiedenen Orleans
vorgelagerten Forts, den Bastillen lagen 4000 Engländer.
Überraschend zogen aber vor Ankunft Jeannes die 1500 burgundischen
Alliierten ab, vermutlich wegen den seit 1428 geführten
Verhandlungen zwischen Karl VII und Burgund. Neue englische Truppen
setzten sich deshalb nach Orleans in Bewegung. Der orleanische
Bürger Lullier berichtete auf dem Rehabilitationsprozess 1456, dass
die Bürgerschaft der Stadt extrem bedrückt gewesen sei und nur noch
auf die Hilfe Gottes hoffte. Man verfolgte deshalb auch mit größter
Gespanntheit die umlaufenden Gerüchte und Berichte, dass eine
Jungfrau aus Lothringen den hart bedrängten Bürgern zu Hilfe kommen
würde. Man wusste sogar von ihrem Brief an den König. Die Kunde von
ihrem Kommen war ihr also bereits vorausgeeilt, als sie mit ihren
Soldaten von Tours nach Orleans aufbrach, wo sie am 29. April im
Süden der Stadt eintraf. Jeanne wurde überschwänglich von der
gesamten Bevölkerung empfangen. Sie brachte ein Kontingent von 200
Lanzen mit (1 Lanze = ein Ritter mit Bogenschützen und Knappen,
etwa 10 Mann). Auf Anweisung des Festungskommandanten, dem Bastard
von Orleans (dem illegitimen Sohn des ermordeten Herzogs Ludwig von
Orleans), und späteren Graf Dunois, sollte Jeanne d' Arcs Trupp
abseits der englischen Forts nach Orleans die Loire übersetzen.
Jeanne war ungehalten, denn sie wollte gleich kämpfen und sagte zum
Grafen Dunois bei der Begrüßung: „Im Namen Gottes, der Rat
meines Herrn ist sicherer und weiser als der Eure. Ihr habt
geglaubt mich täuschen zu können, aber ihr täuscht Euch selber,
denn ich bringe Euch bessere Hilfe als sie jemals Soldaten und
Bürgern zuteil geworden ist, nämlich die Hilfe des himmlischen
Königs“.
Starker Gegenwind verhinderte die Überquerung der Loire nach
Orleans, sodass kaum an eine Übersetzung gedacht werden konnte.
Plötzlich aber ließ Gott den Wind drehen und man konnte übersetzen.
Das überzeugte den Dunois und er setzte seine Hoffnungen immer mehr
auf die Jungfrau. Dennoch gab es große Schwierigkeiten mit den
Militärs, denn sie wollten sich nicht dreinreden lassen und wollten
eine direkte Konfrontation hinausschieben. Aber es kam alles
anders. Jeanne diktierte einen Brief an Sir William Glasdale, den
Kommandanten des stärksten Fort „Les Tourelles“, worin
sie in Gottes Namen den unverzüglichen Abzug forderte, sonst würden
alle den Tod erleiden. Am 4. Mai waren die letzten Kontingente und
Verpflegungskonvoi der Franzosen eingetroffen. Am gleichen Tag
begann beim Fort Saint Loup eine heftige kriegerische
Auseinandersetzung ohne Jeanne, aber sie hörte den Lärm und ritt in
scharfem Galopp zu der Bastion. Als die Engländer die Jungfrau mit
ihrem „Jhesus Maria – Banner“ sahen, waren sie so
entsetzt, dass das Fort im Sturm von den Franzosen genommen
wurde.
Mit einem Pfeil ließ Jeanne den Engländern in der „Les
Tourelles“ noch eine zweite Botschaft zukommen. Die
englischen Soldaten ergriff jetzt fast panische Furcht, was auch
Jean Pasquerel, der Beichtvater Jeannes und andere bezeugten. Am 6.
Mai kam es erneut zu heftigen Auseinandersetzungen um die kleineren
Forts. Gezwungenermaßen mussten alle aufgegeben werden. Alle Briten
zogen sich jetzt in ihr stärkstes Fort, nach „Les
Tourelles“ zurück. Noch einmal erboste sich Jeanne über die
Hinhaltetaktik des Kriegsrates. Doch der 7. Mai brachte die
Entscheidung. Jeanne erklärte: „Ihr wart bei Eurem Rat und
ich habe bei meinem Rat (Gott) eingeholt“. Einen Tag zuvor
hatte Jeanne ihrem Beichtvater anvertraut, dass sie bei der letzten
Schlacht schwer verletzt werden würde. An diesem Tag wurde trotz
allem Hader die letzte Festung der Briten angegriffen. Das
Heldenmädchen stand die Soldaten anfeuernd an der Spitze der
kämpfenden Truppe. Bei der Besteigung einer Sturmleiter traf Jeanne
ein englischer Pfeil unterhalb der linken Schulter, sodass sie aus
dem Gefecht genommen werden musste, um die Wunde versorgen zu
können. Abends blies man erschöpft zum Rückzug. Da plötzlich
erschien die Jungfrau wieder in voller Rüstung. Die Franzosen
erfasste neuer Mut und das Bollwerk wurde mit geringem Widerstand
im Sturm genommen. Sir William Glasdale, der die Jungfrau verhöhnt
hatte, ertrank mit anderen in der Loire. Hatte Jeanne in Orleans
noch große Schwierigkeiten, von den Heerführern akzeptiert zu
werden, so wandelte sich dies jetzt nach dem ersten großen
Sieg.
Die Rückkehr der Truppen in die Stadt Orleans gestaltete sich zu
einem Triumphzug, besonders für Jeanne, die aber zunächst an diesem
gar nicht teilnehmen wollte, sondern auf dem Schlachtfeld über die
vielen Toten auf beiden Seiten herzergreifend weinte. Die
Bevölkerung der Stadt sah in ihr einen Engel Gottes. Die Franzosen
und die Engländer standen sich anderntags noch einmal auf offenem
Feld in Schlachtordnung gegenüber. Jeanne befahl, nur im Falle
eines britischen Angriffes zu kämpfen. Doch die Engländer besannen
sich eines Besseren und zogen ab. Ein 17jähriges Bauernmädchen
hatte alle Widerstände bei den Militärs gebrochen und Orleans
innerhalb von 4 Tagen befreit. Sie hatte das Zeichen, das die
Doktoren und hohen Herren in Poitiers von ihr verlangt hatten, bei
Orleans erbracht. Interessant sind auch Details rund um die
Kampfhandlungen. Ihre Keuschheit verbot ihr, im Heer
Marketenderinnen zu dulden. Sie konnte sehr böse werden, wenn
Soldaten fluchten oder Glücksspiele betrieben. Auch verlangte sie,
dass die Krieger zur Beichte gingen. Man betrachtete es fast als
Wunder, dass selbst der größte Kriegsheld Frankreichs, La Hire (der
Zorn Gottes, wie ihn die Engländer nannten), tatsächlich zur
Beichte ging.
Von
Orleans zur Krönungsstadt Reims
Als
Frankreich bei Orleans bereits verloren schien, wandte Jeanne
d’ Arc durch ihren todesmutigen Einsatz das Blatt. Am 12.
Juni wurde Jargeau erobert. Bei Patay wurden die Engländer
buchstäblich überrannt. Ab Mitte Mai 1429 vergrößerte sich das
französische Heer ständig und setzte den Siegeszug mit der Jungfrau
an der Spitze im Loiretal fort. Jeanne hatte zu diesem Zeitpunkt
schon sagenhafte Berühmtheit in ganz Frankreich erlangt. Viele
zeitgenössische Quellen berichteten über sie. Jeanne, so wurde
behauptete, habe sich aufgrund der fortdauernden militärischen
Erfolge verändert. Das impulsive Bauermädchen hatte sich zu einer
Kriegsherrin und einer militärischen Führerin entwickelt. Ihre
Befehle konnten oft schneidend scharf sein und sie duldete keinen
Widerspruch. Graf Dunois erklärte zur Eroberung von Troyes:
„Die Positionen, die sie wählte, waren so bewunderungswürdig,
dass die berühmtesten und erfahrensten Hauptleute keinen so guten
Schlachtplan hätten entwerfen können" (Lucie-Smith 1990,187f.; Q
III, 13). Am Hofe des Königs aber war die Skepsis gegenüber der
Gottgesandten immer noch nicht gewichen. Dennoch konnte man sich
ihrer Siegesaura nicht entziehen. Jeanne verlangte, den König und
das Heer ohne Umschweife zur Krönungsstadt zu bringen. Sie vertrat
die Auffassung, dass nach der Krönung die Macht der Feinde immer
mehr nachlassen würde. Der Chronist Perceval de Cagny schrieb
lakonisch: „Und niemand wagte ihr zu widersprechen“ (Q
4, S. 11). Sie erwies sich als sehr geschickt in der politischen
und taktischen Argumentation. Sie selbst tötete keine Soldaten und
weinte oft über die toten Krieger. Einmal nahm sie aus Mitleid den
Kopf eines sterbenden Briten in ihren Schoß und tröstete ihn.
Manche Engländer verdankten ihr das Leben. Ihr „Beau
Duc“, der Herzog von Alençon, sagte über sie aus:
„Johanna war einfach und jung, aber das Kriegshandwerk
verstand sie; sie wusste ebenso die Lanze, wie die Armee zu
formieren und einen Aufstellungsplan zu entwickeln, besonders was
die Artillerie betraf; jeder staunte darüber, wie sie all das mit
Sicherheit und Umsicht regelte, als hätte sie seit zwanzig oder
dreißig Jahren Krieg geführt.“ (Schirmer-Imhoff 2001) Aus dem
17jährigen Bauernmädchen erstand eine Kriegsheilige, die im Laufe
der Geschichte nicht ihresgleichen fand, um ein leidendes Volk vor
endgültiger Unterjochung zu retten. Seit dem Sieg um Orleans
strömten der Armee große Massen von Freiwilligen und andere
Unterstützung zu. Selbst Adelige, die sich kein Schlachtross und
Rüstung leisten konnten, stießen zum Heer und dienten als
Bogenschützen oder einfache Soldaten. In diesen Tagen in denen alle
an die Jungfrau glaubten, die ihnen die Freiheit Frankreichs
prophezeite, erwachte das französische Nationalbewusstsein.
Immer mehr Städte fielen oder öffneten Karl VII. ihre Tore. Auf dem
Weg nach Reims hatte sich der Heerzug immer stärker zu einer
Prozession gewandelt. Nach kurzer Zeit konnte das Heer mit dem
Dauphin und der Jungfrau an seiner Seite in der alten Krönungsstadt
Reims einreiten. Aus dem ganzen Lande strömten die Menschen zur
Krönung zusammen, um dem neuen Herrscher zu huldigen. Aber Jeannes
Popularität überstrahlte alles. Bei den Krönungsfeierlichkeiten in
der Kathedrale von Reims stand Jeanne mit ihrem Banner immer in
unmittelbarer Nähe des Königs: „Der Fahne des einfachen
Bauernmädchens, das aus eigener Kraft zur bewunderten und
beneideten Heerführerin geworden war, wurde bei der Krönung des
Königs in Reims die erste Reverenz erwiesen“. (Krumeich
2006,63) Nachdem die Salbung des Königs mit dem Heiligen Öl erfolgt
war und er im Ornat vor den Großen seines Königreiches stand, fiel
Jeanne vor ihm, die Knie umfassend, nieder und sagte:
„Sanfter König, nun ist der Wunsch Gottes erfüllt, der
wollte, dass die Belagerung von Orleans aufgehoben und dass Du in
diese Stadt Reims gebracht werden solltest, um deine heilige Weihe
zu empfangen und so zu zeigen, dass Du der wahre König bist und
der, dem das Königreich Frankreich gehören soll." (Lucie-Smith
1990,195; Q IV,186) Jeanne vergoss heiße Tränen und die Anwesenden
waren tief bewegt. Sie war am Ziel, aber ihre Aufgabe hatte sie
noch nicht ganz erfüllt. Jeanne hatte vor den
Krönungsfeierlichkeiten auch einen Brief an den Herzog von Burgund
geschrieben, um ihn zur Krönung und zu Friedensverhandlungen
einzuladen. Dieser erschien jedoch nicht zur Krönung und ließ auch
die Einladung unbeantwortet. Aber Jeannes Vater war überraschend
mit einer Abordnung aus ihrem Heimatdorf Domrémy erschienen. Vater
und Tochter sahen sich wieder, wenn auch zum letzten Mal. Aus den
Akten geht hervor, dass die Stadt dem Vater den Aufenthalt in Reims
bezahlte. (Thomas 2000, 352). Nach der Krönung in Reims erhob der
König Jeanne und ihre ganze Familie und deren Nachkommen in den
Adelsstand (du Lys). Jeanne erreichte beim König auch, dass ihr
Heimatdorf Steuerfreiheit genießen durfte.
Vor
Paris
Nach der Krönung verhandelte Karl VII weiter mit Burgund, in der
Hoffnung endlich Ergebnisse für Friedensbemühungen zu erhalten.
Jeanne hatte nach der Krönung erkennen müssen, dass es jetzt unter
den Parteien weniger um die Vollendung ihrer göttlichen Mission
ging, sondern mehr um politische Aktion. Trotzdem ergab sich eine
Stadt nach der anderen auf dem Wege nach Paris. Jeanne war sehr
enttäuscht, dass der König mit dem zufrieden war, was man
inzwischen erreicht hatte. So drängte sie auf einen unverzüglichen
Sturm auf Paris, doch die Belagerung von Paris schien unter einem
schlechten Vorzeichen zu stehen. Die Heerführer stritten sich unter
einander und man machte Jeanne für die Misserfolge bei beiden
Angriffen verantwortlich. Jeanne wurde bei einem dieser Angriffe am
Bein verletzt. Der König dagegen verharrte abwartend in Senlis. Am
Ende wurde durch Befehl des Königs die Belagerung von Paris
aufgehoben und das königliche Heer aufgelöst. Jeanne legte darauf
symbolisch ihre Ritterrüstung in der alten Krönungskirche von St.
Denis nieder. Damit war Jeanne gezwungen zu pausieren. Der König
präsentierte sie nach ihrer Erhebung in den Adelstand in seinen
Schlössern, z.B. Sully und Gien. Sie wurde wie eine Prinzessin
behandelt, da sie sich im „dernier cri de Bourgogne“ zu
kleiden wusste (Vossen o. J., 84f.). Wo immer sie auftrat, wurde
sie gefeiert, aber im Grunde ihres Herzen behielt sie ihr
schlichtes Wesen. Immer wieder bewältigte sie neue Situationen mit
Bravour.
Etwas später wollte man mit einem kleinen Königsheer die Städte La
Charité und St. Pierre le Moûtier entsetzen. Der Erfolg war mäßig,
obwohl auch Jeanne daran beteiligt war. Dennoch schadete es ihrem
Ruf nicht.
Die
Gefangennahme vor Compiegne
Vor Melun
erfuhr Jeanne von ihren Heiligen, dass sie noch vor Mittsommer in
Gefangenschaft geraten würde. Anfangs Mai belagerten die Burgunder
Compiegne. Am 13. Mai traf Jeanne mit ihrer kleinen Truppe in der
Stadt Compiegne ein. Bei einem Ausfall aus der Stadt am 23. Mai
erreichte Jeanne mit ihren Gefolgsleuten nicht mehr das Stadttor
und wurde umzingelt und überwältigt. So fiel sie in die Hände von
Jean de Luxembourg bzw. der Burgunder. Auch ihre Gefolgsleute
gelangten in Gefangenschaft, darunter Jean d’ Aulon, der erst
in Rouen von ihr getrennt wurde und später durch Lösegeld wieder
frei kam. Der Luxemburger ließ Jeanne zunächst zu seinem Schloß
Beaulieu bringen. Als sie dort vor Befreiungsversuchen nicht mehr
sicher war, verbrachte man sie nach Schloß Beaurevoir. Dort
unternahm sie einen Fluchtversuch, indem sie vom Schlossturm aus
18-20 Meter Höhe in den Schlossgraben sprang. Sie wurde bewusstlos
und mit leichten Verletzungen geborgen. Doch sie war bald wieder
gesund. Dies wurde natürlich als sehr erstaunlich, wenn nicht als
Wunder angesehen. Über die Motivation von Jeanne gibt es keine
eindeutigen Belege. Jedenfalls leugnete Jeanne, dass sie sich das
Leben nehmen wollte. Jean de Luxembourg erkannte wohl ihr wahres
Wesen, aber die Geldgier obsiegte bei ihm, und er verschacherte sie
um viel Geld an die Engländer. Die enorm hohe Summe presste man aus
den Bauern der besetzten Normandie heraus. Als Käufer für die
Engländer trat Jeannes künftiger Richter der Bischof von Beauvais,
Pierre Cauchon, auf.
Ob die Auslieferung in englische Gefangenschaft in Crotoy oder
Arras erfolgte, kann nicht mehr festgestellt werden. Ihre letzte
Station war Rouen. Manche Autoren des 19. Jahrhunderts behaupteten,
Jeanne sei vom König verraten worden, dies wurde jedoch von Heinz
Thomas widerlegt. Die Nachricht über Jeannes Gefangennahme
verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Das Volk war bestürzt. In
Orleans, Blois und Tours gab es öffentliche Gebete. Gleichzeitig
kam es in Tours zu einer großen Prozession an der weltliche und
geistliche Würdenträger teilnahmen. Karl VII selbst war offenbar
dazu bereit, Jeanne auszulösen. Laut einer Chronik sandte der König
einen Boten an den Herzog von Burgund, um einen Verkauf von Jeanne
an die Engländer zu verhindern. Danach versank er wohl wieder in
Entschlusslosigkeit, woran seine Berater gewiss einen erheblichen
Anteil hatten. Jean Jouvenal des Ursins, der spätere Kanzler,
tadelte ihn deswegen später heftig.
Der Prozess und das Ende
Es liebt die
Welt, das Strahlende
zu schwärzen und das Erhabene
in den Staub zu ziehn.
Friedrich Schiller
Kaum war Jeanne in Rouen
eingetroffen, bezog sie im Schlossturm ihr letztes Quartier.
Unmittelbar nach dem Eintreffen in Rouen wurde ihre
Jungfräulichkeit auf Anweisung des Bischofs Cauchon und der
Gemahlin des Herzogs von Bedford nochmals untersucht. Die damit
beauftragten Ammen bestätigten, dass Jeanne eine absolut intakte
Jungfrau (virgo intacta) sei. Eine Jungfrau konnte in der damaligen
Zeit nach allgemeiner Ansicht niemals mit dem Teufel im Bunde
stehen. Im ganzen Verdammungsprozess spielte dieses Faktum jedoch
überhaupt keine Rolle mehr, denn ihre Hinrichtung war bereits von
der englischen Seite beschlossen. Jeanne musste in ihrem Kerker
durch die Wachsoldaten gemeinste Beleidigungen anhören, ja sie
musste ständig ihre Unschuld und Keuschheit verteidigen. Dabei war
ihre Männerkleidung von großem Vorteil.
Am 9. Januar 1431 begann der Inqusitionsprozess, Jeanne wurde
jedoch erst am 21. Februar vorgeladen. Der britische König hatte
die Leitung des Prozesses dem Bischof von Beauvais, Pierre Cauchon,
übertragen, der auch sein Berater war. Primär war es ein
politischer Prozess, dem die Engländer ein kirchliches Mäntelchen
umzuhängen versuchten. Jeanne war eine Kriegsgefangene und keine
kirchliche, denn sonst hätte man sie in ein kirchliches Gefängnis
überstellen müssen, wo sie von Frauen bewacht worden wäre. Der
Bischof als vorsitzender Richter war Franzose, wie auch die
Doktoren der Universität Paris und Kleriker anderer Institutionen,
die teilnahmen. Aber sie wurden alle von den Engländern bezahlt.
Nur wenige Engländer waren selbst als Beisitzer dabei. Man
versuchte zu beweisen, dass Jeannes Taten und Erfolge Werke des
Teufels gewesen seien. Gleichzeitig verfolgte man als Nebenabsicht,
die Krönung Karl VII zu diskreditieren. Man wollte ihn mit dem
Vorwurf „von einer Hexe gekrönt“ worden zu sein,
unmöglich machen. Doch nicht alle Teilnehmer waren mit der
parteiischen Führung des Prozesses einverstanden.
Man unterzog Jeanne intensiven und erniedrigenden Verhören. Die in
universitären Disputationen geschulten Gelehrten aber mussten bald
zur Kenntnis nehmen, dass Jeanne ihnen durchaus gewachsen war.
Gewiss konnte sie weder lesen, noch schreiben (außer ihrer
Unterschrift), aber sie hatte ein erstaunliches Gedächtnis und
korrigierte den protokollierenden Schreiber noch Tage später.
Trotzdem sie fast immer schlagfertig auf die sophistischen Fragen
antwortete, wiederholte man manche Fragen immer wieder. Das
richterliche Gremium gab nicht den Anschein, dass man jemals
überhaupt in Betracht gezogen hatte, dass Jeanne wirklich im
Auftrag Gottes gehandelt hatte. Einmal erklärte Jeanne den Doktoren
demonstrativ: „Ich sage Euch, die Ihr Euch meine Richter
nennt, nehmt Euch in Acht! Ihr ladet Euch schwere Last auf und Ihr
belastet Euch übermäßig.“ (Nette 2002,89) Und dem Bischof von
Beauvais erklärte sie scharf: „Ihr nennt Euch meinen Richter.
Ich weiß nicht, ob ihr es seid. Aber hütet Euch, dass ihr nicht
übel richtet. Ihr würdet Euch in große Gefahr begeben. Ich mache
Euch darauf aufmerksam, damit, wenn Unser Herr Euch dafür straft,
ich meine Pflicht getan und es Euch gesagt habe.“ (Duby 1985,
64) Man stellte ihr immer wieder Fallen oder quälte sie mit
unsinnigen Fragen, etwa, ob ihre Heiligen nackt gewesen seien oder
ob sie Haare hätten. Man warf ihr immer wieder vor, dass es
unanständig sei, Männerkleidung zu tragen. Sie erklärte, dass sie
es auf Anweisung Gottes getan habe. Der vielen Fragen oft genug
überdrüssig, riet ihnen Jeanne doch die Akten aus Poitiers kommen
zu lassen, wo man alle Antworten finden würde, aber das
interessierte wohl niemanden.
Der Magister Beaupère fragte sie, ob sie gewiss sei, dass sie in
der Gnade Gottes sei. Jeanne gab ihm ihre berühmte Antwort:
„Wenn ich es nicht bin, möge mich Gott dahin bringen, wenn
ich es bin, möge mich Gott darin erhalten! Ich wäre der traurigste
Mensch auf Erden, wenn ich mich nicht in der Gnade Gottes
wüsste.“ Gefragt, ob ihre Heiligen die Engländer hassen,
erwiderte sie: „Sie lieben, was Unser Herr liebt, und hassen,
was Gott hasst.“ Weiter fragte man sie, ob Gott die Engländer
hasse. Sie entgegnete, dass sie nichts über Liebe oder Hass von
Gott gegenüber den Engländern wüsste. Zweifellos hoffte man immer
wieder, dass sie in eine Falle treten würde, aber sie antwortete
taktisch geschickt und mit unvergleichlichem Scharfsinn. Jeanne
forderte wiederholt, dass man sie zum Papst führen möge, auf den
sie sich nächst Gott berufen würde. Nach den Verfahrensregeln hätte
der Prozess deshalb ausgesetzt werden müssen. Aber Cauchon ließ es
nicht dazu kommen, denn die Engländer forderten unnachsichtig ihren
Tod.
Noch während des Prozesses kam der Magister Jean Lohier nach Rouen.
Der Notar Manchon fragte ihn bei dieser Gelegenheit, ob er die
Akten eingesehen habe. Dieser entgegnete: „Ich habe den
Prozess gesehen, er ist ungültig!“ Zu den Rechtsmängeln (nach
damaliger Zeit) bemerkte er auch: „…ferner geht der
Prozess auch Personen an, die man nicht vor die (Gerichts-)
Schranken gerufen hat. Kein gesetzlicher Rechtsbeistand trat bisher
auf.“ (Schirmer-Imhoff 2001, 202). Lohier verließ unmittelbar
danach Rouen, da er um sein Leben fürchtete. Einigen anderen erging
es ähnlich.
Die Folter wurde von den Richtern abgelehnt, da Jeanne ihnen
deutlich genug sagte, dass sie nachher doch wieder alles widerrufen
würde. Sie verteidigte ihren König, wo immer sie es vermochte.
Nachdem die Pariser Universität ein negatives Gutachten über Jeanne
erstellt hatte, neigte sich der Prozess dem Ende zu. Am 24. Mai
führte man sie auf den Friedhof von Saint-Quen, wo man ihr in
Gegenwart von Scheiterhaufen und Henker eine Predigt hielt, um sie
zu einem Widerruf zu bewegen. Dem wurde natürlich nicht entsprochen
und sie wurde mehrfach ermahnt, sich der Mutter Kirche zu
unterwerfen. Sie entgegnete ostentativ: „Ich berufe mich auf
Gott und unseren heiligen Vater, den Papst.“ Danach ließ man
Jeanne etwas unterschreiben, eine angebliche Abschwörung, die nur
wenige Worte umfasste. Dies sollte Jeanne in ein kirchliches
Gefängnis bringen und vor dem Feuertod bewahren. Sie wurde jedoch
getäuscht, denn in den Akten tauchte später eine extrem lange, aber
gefälschte Abschwörung auf. Nur zu bald erkannte Jeanne, das man
sie hereingelegt hatte und distanzierte sich davon, auch zog sie
wieder Männerkleidung an, denn man hielt sich nicht an die
Versprechen, die man ihr auf dem Friedhof gegeben hatte. Bei
Cauchons letztem Besuch in Jeannes Kerker, wo er Jeanne in
Männerkleidung vorfand, rief sie laut: „Bischof ich sterbe
durch Euch … Ich werde Euch vor Gott dafür verantwortlich
machen.“ (Nette 2002,104;Q II,376) Kurz danach wurde das
Endurteil wegen Rückfälligkeit verkündet und Jeanne dem weltlichen
Gericht übergeben. Nachdem Jeanne das Urteil vernommen hatte, fing
sie an zu schreien, denn sie konnte nicht verstehen, weshalb ihr so
reiner und unberührter Leib zu Asche verbrennen sollte. Es
schockierte auch, dass man kein weltliches Urteil mehr erließ,
sondern Jeanne unmittelbar zur Richtstätte auf den Markt führte und
sie dem Henker überantwortete. Viele aus dem Volk murrten.
Allerdings wurde ihr noch eine Predigt gehalten, worin sie auch
exkommuniziert wurde. Vor ihrem Tod bat Jeanne mit festen Worten
alle um Vergebung, wie auch sie allen vergab: „Ich vergebe
allen, die mir Leid angetan haben“. Weiter bat sie alle um
Verzeihung für das Ungemach, das die Franzosen und Engländer durch
sie erdulden mußten. (Lavater-Sloman 1963,
360)
Als sie schon am Schandpfahl
festgebunden wurde reichte ihr auf ihren Wunsch ein englischer
Soldat ein kleines selbstgemachtes Holzkreuz, während einer der
Mönche in die nahe Kirche lief und ein Prozessionskruzifix holte,
um es vor ihr Gesicht zu halten. Dann wurde der Scheiterhaufen
angezündet. Es wird berichtet, dass sie das Prozessionskreuz
küsste, dann loderten die Flammen hell auf. Sie redete noch mit
ihren Heiligen und mehrfach rief sie „Jesus, Jesus“,
bevor sie von Rauch und Feuer eingehüllt wurde. Ihre Asche wurde
später in die Seine gestreut. Den Henker packte die Verzweiflung,
weil er überzeugt war, verdammt zu sein, da er eine Heilige
verbrannt hatte. John Tressart, der Sekretär des Königs von
England, rief aus: „Wir sind verloren, wir haben eine Heilige
verbrannt“ (Sackville-West 1992,454). Der Notar Colles
bezeugte später: „Nachdem man Johanna verbrannt hatte, zeigte
das Volk mit den Fingern auf die, welche mit der Sache zu tun
hatten, und äußerte seinen Abscheu“ (Schirmer-Imhoff 2001,
210). Es wird auch überliefert, dass alle, die für den Tod der
Gottgesandten verantwortlich waren, eines unnatürlichen oder
schlimmen Todes starben.
Danach
Nach dem Tode von Jeanne fassten die Engländer wieder Mut,
vertrieben die Franzosen aus Louviers und siegten bei Senlis und
Beauvais über Karls Truppen. Wäre man Jeannes Ratschlägen gefolgt,
und hätte man dem Gegner keine Ruhepause gegönnt, wäre Frankreich
sicherlich in wenigen Monaten frei gewesen.
Im Juni 1433 fiel der verräterische erste königliche Berater Karl
VII, La Trémoille, in Ungnade. Und zwei Jahre später, 1435, folgte
die Aussöhnung mit dem Herzog von Burgund. Am 14. September starb
Herzog Bedford, der englische Statthalter in Frankreich, man sagt
an gebrochenem Herzen, wegen des Verlustes der englisch besetzten
Teile Frankreichs und der Soldaten. Wenige Tage später wurde in
Arras zwischen Karl VII. und dem Herzog von Burgund vertraglich der
Friede besiegelt. Am 12. November 1437 konnte Karl VII. endlich in
seine Hauptstadt Paris einziehen. Jean d’ Aulon, Jeannes
treuer Begleiter, führte dabei das Pferd des Königs. Aber es dauert
noch lange, bis Karl Herr von ganz Frankreich werden sollte. Vorher
gab es noch viele große Schwierigkeiten zu bewältigen. Er tat sehr
viel für sein darnieder liegendes Land und wurde so doch noch ein
guter König. Es räumte gründlich mit den durch die Lande ziehenden,
mordenden und plündernden Söldnerbanden auf, um seinem Volk endlich
auch Sicherheit zu bringen. Als Gegnerin vom Plündern und
Brandschatzen wäre das sicherlich voll und ganz auch Jeannes Wunsch
gewesen. 1440 kehrte Herzog Karl von Orleans, wie Jeanne voraus
gesagt hatte, aus englischer Gefangenschaft wieder in seine Heimat
zurück. 1449 fiel Rouen, die Stadt ihrer Leiden, und Karl VII gab
den Befehl, die Akten des Schandprozesses von 1431 zu studieren,
damit der Fall erneut aufgerollt werden konnte. 1453 wurde König
Karl, der später „der Siegreiche“ genannt wurde,
endlich König von ganz Frankreich, so wie es die Jungfrau
prophezeit hatte.
In Vorbereitung zu dem Rehabilitationsprozess wurden viele Zeugen
gehört. Für eine Revision des Verfahrens von 1431 gab es aber ein
großes Problem. Karl konnte nicht einfach den Prozess befehlen. Ein
direkt Betroffener musste sich erst an den Papst wenden, deshalb
bat man Jeannes Mutter, Isabelle Romée, an den Papst zu schreiben,
damit ihrer geliebten Tochter endlich Gerechtigkeit widerfahren
konnte. Am 7. November 1455 übergab die schluchzende Mutter in der
Kathedrale Notre Dame in Paris das Schreiben an den Papst zur
Eröffnung des Revisionsverfahrens. Jean d’ Aulon konnte die
grausame Ermordung Jeannes nicht ertragen und trat in ein Kloster
ein, wo er auch seine Zeugenaussage für den Prozess abgab. Alle
Taten besagter Jungfrau seien ihm göttlich und wunderbar
erschienen. Einer Jungfrau sei es unmöglich, ohne den Willen
Unseres Herrn solche Werke zu vollbringen. Auch viele andere legten
ein ähnliches Zeugnis ab. Am 7. Juli 1456 wurde Frankreichs
Nationalheilige feierlich in Rouen rehabilitiert. Das Urteil von
1431 wurde für null und nichtig erklärt und öffentlich zerrissen.
Wenige Tage danach gab die Stadt Orleans Jeanne zu Ehren eine große
Freudenfeier. Die Kirche aber konnte sich erst fast 600 Jahren
später dazu entschließen, Jeanne d’ Arc heilig zu
sprechen.
Es gibt keine berechtigten Zweifel daran, dass Jeanne d’
Arc’s plötzliches Erscheinen und ihre mutigen und standhaften
Handlungen Frankreich die vollständige Befreiung von den fremden
Eroberern brachten, wenn auch erst nach ihrem grausamen Tod. Die
Stadt Orleans vergaß ihre Befreierin niemals. Jeannes Mutter
Isabelle Romée lebte als städtische Pensionärin in Orleans bis sie
1458 starb, offenbar in dem Haus das Jeanne noch zu Lebzeiten
gemietet hatte.
Es ist interessant sich vor Augen zu führen, welche Heilige laut
Jeanne d'Arc als ihre spirituelle Berater gedient hatten: Die
heilige Katharina von Alexandria hatte genauso wie Jeanne d’
Arc, vielen Gelehrten gegenüber Rede und Antwort stehen müssen. Die
heilige Margarethe war genauso wie das 19jährige heldenhafte
Mädchen in Männerkleidung aufgetreten. In der heutigen Zeit ist das
Wirken von Menschen wie Jeanne d'Arc schwer verständlich, und
psychologische Spekulationen helfen hier nicht weiter. Das von Gott
begnadete Mädchen aus Lothringen war eine Prophetin, deren
Voraussagen sich erfüllten.
Dieter Storz
Quellen:
Georges und Andrée Duby (Hg.): Die Prozesse der Jeanne d’
Arc. 3. Aufl. Berlin 1999
Gerd Krumeich: Jeanne d’ Arc – Geschichte der Jungfrau
von Orleans. München 2006
Edward Lucie-Smith: Johanna von Orleans. Eine Biografie.
Lizenzausgabe Düsseldorf 1990
Mary Lavater-Sloman: Jeanne d’ Arc. Die Heilige in Waffen.
Zürich 1977
Pierre Moinot: Jeanne d’ Arc. Die Macht und die Unschuld. Ulm
1989
Herbert Nette: Jeanne d’ Arc – 10. Aufl. 2002
Walter Nigg: Der Engel Frankreichs. In: Große Heilige. Zürich und
Suttgart 1962 (7. Aufl.)
Régine Pernoud, Marie Véronique Clin: Johanna von Orleans. Der
Mensch und die Legende. dtsch. Bergisch-Gladbach 1991
Régine Pernoud: Jeanne D' Arc. Glaube, Kraft, Vision. München:
Kösel 1995
Ruth Schirmer-Imhoff: Der Prozess der Jeanne d’ Arc. München
2001, 5. Aufl.
Vita Sackville-West: Jeanne d’ Arc. Die Jungfrau von Orleans.
Frankfurt/M Berlin 1992
Heinz Thomas: Jeanne d’ Arc. Jungfrau und Tochter Gottes.
Bonn 2000
Jules Quicherat (= Q): Procès de codammation et de réhabilitation
de Jeanne. 5 Bde. Paris 1841-1849
Carl Vossen: Sie siegte nicht nur bei Orleans. Die heilige Johanna
wie sie wirklich war. Stern-Verlag Düsseldorf
Wikipedia: Hundertjähriger Krieg, Königin Isabeau