Shri
Krishna und Narada
Einst
wanderten Krishna und Narada an einem Fluss entlang durch
die Steppe. Narada, der Götterbote, fragte: „Herr,
sag mir, was ist Maya? Bis heute verstehe ich das
nicht.“
Krishna erwiderte: „Das erzähle ich dir nachher.
Jetzt würde ich gerne ein wenig meditieren. Wenn du mir in
der Zwischenzeit Wasser von dem Fluss dort unten holen
würdest, dann wäre ich dir sehr dankbar, denn ich habe
Durst und würde nach der Meditation gern etwas
trinken“.
„Natürlich hole ich dir Wasser.“, sagte Narada.
Er stieg zum Fluss
hinunter und überlegte, was er in der Zeit, während Krishna
meditierte, tun könnte. Da sah er am jenseitigen Ufer eine
junge Frau, die einen Riesenkrug mit Wasser füllte.
„Niemals wird sie den allein heben können“,
dachte er.“ Ich muss ihr helfen.“ Kurz
entschlossen watete er in das Wasser hinein und schwamm
über den Fluss.
„Willst du etwa diesen schweren Krug tragen?“,
fragte er.
„Ja“, antwortete die Frau.
„Und wohin?“
„Ins Dorf, gleich dort vor der steilen
Felswand“, antwortete sie.
„Warte, ich helfe dir.“
Die Frau hatte ein freundliches Wesen und war schön. Narada
schaute sie an, und sie schaute ihn an, und sie verliebten
sich auf der ersten Blick. Als sie zusammen das Dorf
erreichten, fragte Narada ihren Vater, ob er sie heiraten
dürfe. Dem Vater gefiel der kräftige Mann mit dem offenen
Blick, und er stimmte zu. So heirateten die beiden, und
lebten zufrieden zusammen. Sie bauten sich eine schöne
Hütte, die Frau wurde schwanger, und gebar ein Kind. Da
Narada und die Frau geschickt und fleißig waren, verdienten
sie ausreichend Geld, um sich Ersparnisse zurückzulegen,
Goldstücke, die sie in einem Säckchen sammelten und in
ihrer Hütte vergruben.
Da galoppierte eines Tages ein Bote auf einem Pferd in das
Dorf und rief: „Oberhalb des Flusses ist ein heftiger
Regen niedergegangen, der schlimmste seit Menschengedenken.
Das Wasser hat einen Damm durchbrochen. Jeden Moment muss
die Flutwelle das Dorf erreichen und wird alles
überschwemmen.“ Was sollten sie nun tun? Hinauf ins
Gebirge konnten die Dorfbewohner wegen der senkrechten
Felswände nicht flüchten. Allein der Weg über den Fluss
versprach Rettung.
Narada sagte zu seiner Frau: „Noch ist das Wasser
niedrig. Komm wir flüchten über den Fluss!“ Eilig
grub er das Gold aus, und packte den Sack und das Kind. Sie
liefen zum Fluss, der bereits anschwoll. Die Frau sagte:
“Du weißt, ich kann nicht schwimmen.“
„Halte dich an meinen Schultern fest, wir schaffen
es.“
Auf dem einen Arm trug er das Kind, in der anderen Hand
hielt er den Sack mit dem Gold.
Tief und tiefer wateten sie ins Wasser. Die Frau klammerte
sich an ihn. Das Wasser zerrte an den Beinen und am Körper.
Es wurde reißend, und plötzlich verlor er den Grund unter
den Füßen, und sie trieben schnell dahin.
Immer wieder tauchte Narada unter, denn er hatte keine Hand
frei, um richtig schwimmen zu können, und das Geld zog ihn
hinab. Seine Frau bekam Angst und klammerte sich fester an
ihn. Das Kind schrie. Unbedingt brauchte er einen freien
Arm, eine freie Hand. Und wieder zog ihn das Gold unter
Wasser. Da ließ er es los. Jetzt konnte er sich besser über
Wasser halten. Aber da rief seine Frau: „Narada, ich
kann nicht mehr.“
Narada spürte, wie sich ihr Griff lockerte. Was sollte er
jetzt tun? Nun schoss auch noch eine riesige Flutwelle
heran und begrub sie alle drei für einen Moment unter sich.
Narada stieß mit den Beinen, hielt in einem Arm das Kind,
und griff mit der anderen Hand nach seiner Frau. So
gelangten sie an die Oberfläche, doch immer noch wurden sie
wie trockene Zweige herumgewirbelt. Narada konnte sich nur
noch mühselig über Wasser halten. Seine Kräfte erlahmten,
und unbedingt brauchte er die eine Hand wieder zum
Schwimmen.
„Halt dich wieder fest!“ rief er seiner Frau
zu. Sie tat es. Für einen Moment ging es besser, aber da
bäumte sich vor ihnen das Wasser wie ein bockiger
Schimmelrücken auf. Er spürte einen Stoß, und die Frau
schrie vor Schmerz. Dann rief sie, bereits in einiger
Entfernung von ihm: „ Rette das Kind!“, und
trieb hinweg.
Mühsam hielt er das schreiende Kind über das Wasser. Da
packte ihn ein Wirbel, dreht ihn im Kreis, und zog ihn nach
unten. Er schluckte Wasser. Dann stieg er auf, jedoch ohne
an die Oberfläche zu gelangen, wurde wieder nach unten
gewirbelt, und ging wieder hinauf und hinunter. Fast hatte
er die Besinnung verloren, als er den Boden unter den Füßen
spürte. Halb ohnmächtig stieß er sich seitwärts aus dem
Strudel hinaus, gelangte an die Oberfläche, schnappte und
rang nach Luft.
Aber das Kind! Sein Herz blieb fast stehen. Wo war das
Kind? Er hielt es nicht mehr in den Arm. Nirgends sah er
es. Auf dem reißenden, gurgelnden Wasser trieb er dahin. Er
hätte schreien, sich den Kopf einschlagen mögen, so schlimm
war alles. Das Kind war verschwunden. Er hatte keine Kraft,
keinen Lebensmut mehr. Da trieb er in einem Flussbogen
gegen einen Ast, der von einem Baum am Ufer dicht über das
Wasser ragte. Instinktiv griff er nach ihm, klammerte sich
fest und hangelte sich an Land, wo er niedersank.
Fassungslos starrte er auf den Fluss, dessen Wasser langsam
zurückwich.
Da hörte er plötzlich eine leise Stimme: „Narada,
Narada, wo bleibt mein Wasser?“