Delphi - der Nabel der Welt
„Wahrhaftig,
göttlich scheint dieser Ort zu sein“.
Plato,
Phädrus
Delphi
Delphi,
das alte zentrale Heiligtum der griechischen Stämme, liegt
auf einer 500 Meter hohen Schieferterrasse am Südabhang des
Parnaß-Kalksteingebirgsstocks in Mittelgriechenland und ist
vielen durch das pythische Orakel und die Inschrift
„Erkenne Dich selbst!“ bekannt. In der Antike
hieß Delphi ursprünglich Pytho
und war ein
Heiligtum der Erdgöttin Gaia und ihrer Tochter Themis
(Recht) und wurde später als Delphoi ein Orakelzentrum des
Apollon. Nach Marja Gimbutas (1996) wird der Name
delphys
von (Mutter-)Schoß
hergeleitet. Schon zu Anfang des 2. Jahrtausends vor
Christus besuchten Bewohner der einstigen Hafenstadt Krisa
(heute Hrisso) am Golf von Itea die Felswände der
Phaidriaden bei Delphi, wo an den sprudelnden Quellen die
Erdgöttin Gaia weissagte.
Etwa 800 Meter oberhalb von Delphi lag die Korykische
Grotte, wo man eine uralte Kultstätte mit Relikten aus der
Zeit zwischen 4.300 und 3000 v. Chr. (Melas, 1990) fand. Im
Nordost-Teil des später ummauerten delphischen Heiligtums
befand sich in mykenischer Zeit (um 1400 v. Chr.) bereits
eine kleine Siedlung. Auf der Stelle des Heiligtums lag bis
ins 19. Jahrhundert das Dorf Kastri, das aber den
archäologischen Ausgrabungen von 1892 - 1903 weichen
musste. Schon in Homers Illias (um 800 v. Chr.) wird das
felsige Heilige Pytho erwähnt, ebenso bei
Hesiod.
Delphi war nicht nur Orakelstätte, sondern auch Hauptsitz
der Amphiktionie,
eines Verbandes von zwölf mittel- und nordgriechischen
Stämmen und Stadtstaaten. Dieser Zusammenschluss wird als
ein erster Versuch angesehen, mit Hilfe eines föderativen
Bündnisses ein Gleichgewicht zwischen einzelstaatlichen
Interessen zu erreichen, in dem der Apollo-Kult die
wesentlichste Rolle spielte. Es gab eine Reihe von
Apollo-Heiligtümern, aber keines hatte im alten
Griechenland und darüber hinaus in der ganzen bekannten
antiken Welt einen so gewaltigen Einfluss wie das
delphische Heiligtum. Im 8. - 5. Jahrhundert v. Chr. war
das delphische Orakel „die höchste Instanz in
religiösen, politischen, kulturellen und persönlichen
Fragen“ (Melas, 1990). Zugleich aber waren diese
Jahrhunderte auch die Zeit von Delphis höchstem Ruhm. Trotz
seines Ansehens und seiner Autorität mussten drei
„Heilige Kriege“ um seine politische und
religiöse Unabhängigkeit geführt werden.
Die Göttin Athena mit der Schlange in der Hand
auf dem Gigantomachie-Giebel eines Athena-Tempels
Die
Götter Delphis
Der junge, strahlende Gott Apollon mit seinen verschiedenen
Beinamen war im alten Griechenland der Gott des Lichts, der
Klarheit und der Erkenntnis, und später auch der Sonne. In
seiner Wirkungsweise und Bedeutung entspricht er der
Inkarnation von Shri Vishnu als Shri Rama auf dem indischen
Subkontinent.
Er versuchte, die Willkür und die Maßlosigkeit zu bezwingen
und wirkte kultivierend, erziehend und zivilisierend.
Zugleich war er auch der Anführer der Musen und der
Schicksalsgöttinnen. Seine Priesterin, die Pythia, war
seine Sprecherin. Sein delphisches Orakel beeinflusste die
alten Griechen im Glauben und Denken nachhaltig. Theognis
nannte ihn im 6. Jh. v. Chr. den „Schönsten der
Unsterblichen“ und man sah ihn bald auch als
„Schutzherrn der hellenischen Kultur“.
„Die
Leier sei mir lieb und der gekrümmte Bogen.
Und im Orakel künden will ich den Menschen
Den untrüglichen Ratschluss des
Zeus“
Homerischer
Hymnos, 131-32
Als im 9./8. Jahrhundert v.
Chr. Apollon, der auch Gott der Weisheit genannt wurde, das
Heiligtum der Erdgöttin übernahm, behielten die älteren
Götter ihre Altäre: Man durfte sie weiter feiern und ihnen
opfern, doch sie standen fortan im Schatten des
Apollo-Kultes. In Delphi wurden neben Gaia und Themis,
Poseidon (hier als Deität der Flüsse und Quellen), Hestia,
Demeter, Pan, Dionysos, die Nymphen und die Musen
verehrt.
Am
wichtigsten war jedoch die Verehrung der Göttin Athena, die
in der Nähe des delphischen Tempelbezirkes einen eigenen
Tempelbezirk hatte. Noch heute kann man im Museum von
Delphi den wundervollen Rundaltar des Athena-Tempels
sehen.
Der Tempel der Athene
Shri Mataji Nirmala
Devi stellte im Jahr 1993, anlässlich eines
Griechenlandbesuches die Göttin Athena mit der
Adi
Shakti,
der Göttlichen Urmutter und der Kundalini gleich. Auch
stellte sie eine Beziehung zwischen dem Nabhi Chakra, oder
Manipur und Griechenland her. Das Nabhi Chakra befindet
sich im Bereich des Nabels, und auch Delphi wurde lange
Zeit als der Nabel der Welt angesehen. In dem Nabhi der
Welt, in Griechenland regierte, laut Shri Mataji die Göttin
Athena. Auch fand Shri Mataji in Delphi einen Stein, der
einer Ganesha-Statue entspricht, welcher wiederum das
göttliche Kind bedeutet.
Überlieferte Kunstwerke bestätigen die Verbindung von
Göttin Athena und der Kundalini, die oft als Schlange
dargestellt wurde. Die Schlange war schon in der
Jungsteinzeit und später in der Antike das Symbol der
Kundalini und der Lebenskraft. Auf dem Standbild der Athena
Parthenos von Phidias ist auf der linken Seite zwischen
Rundschild und Kleidung eine große Schlange zu sehen. Die
Göttin Athena ist auch auf dem Gigantomachie-Giebel (525 v.
Chr.) des archaios
neos,
dem alten Athena-Tempel, der auf dem mykenischen Palast auf
der athenischen Akropolis errichtet wurde, mit einer
Schlange in der Hand dargestellt (Papathanassopolos, 1978,
81). Göttinnenfiguren aus dem minoischen Kreta halten
ebenfalls Schlangen in den Händen.
Apollon repräsentierte (vergleichbar mit Shri Rama) alles
Gute und Rechtschaffene in einem Manne, wohingegen Dionysos
das Unverantwortliche, den faulen Genießer usw. darstellt.
„Apollon und seine Priester bemühten sich darum,
Rachsucht im Privatleben der Menschen, Vergeltung und
Grausamkeit als politische Praxis sowie Intoleranz auf
religiösem Gebiet zu mildern. Im Kult gab er selbst ein
Beispiel von Toleranz, ließ er doch in seinem delphischen
Tempel den ihm diametral entgegen gesetzten Dionysos
gelten“ (Melas, 1990).
In Delphi besaßen
Dionysos und seine Bachantinnen nie einen eigenen Tempel.
Nach der altgriechischen Überlieferung wurde Apollon, der
Sohn des Göttervaters Zeus und der Göttin Leto, auf der
Insel Delos beschützt von Shri Athena geboren. In frühen
Untersuchungen wurde schon festgestellt, dass „die
Heiligtümer, in denen die Athena als Begleiterin des Apollo
erscheine, alle in einer Richtung von Delos nach Delphi
liegen, ‚an jener heiligen Straße, welche Apollo
selbst gewandert sein soll, als er von seinem
Geburtseilande sich zur Stiftung seines Orakels
aufmachte‘, dass ferner der Kultus der Athena auf
dieser ganzen Linie‚ frühzeitig in Verbindung mit dem
Apollo trat.“ (Wieseler, 1845) Welche wichtige Rolle
Shri Athena in Delphi spielte, zeigt sich auch schon darin,
dass ihr zu Ehren vor der Orakelbefragung geopfert wurde.
Heute wird auch die Ansicht vertreten, dass der Kult von
Shri Athena in Delphi älter ist als der des Apollon.
Ganesha- Swyambhu in Delphi
Der Tempel des Apollon
Innerhalb des Tempelbezirks führte eine Heilige Straße,
gesäumt von Tempeln und aufgestellten Weihegeschenken,
serpentinenartig zum alles überragenden, steinernen Tempel
des Apollon, von dem heute nur noch sechs Säulen zu sehen
sind. Er stand inmitten eines fast unübersehbaren Waldes
von Statuen. Im pronaios
(der Vorhalle)
stand eine Büste Homers und in ihr befanden sich auch die
berühmten Inschriften „Erkenne Dich Selbst!“
und „Nichts im Übermaß!“. Hier war auch der
geheimnisvolle Buchstabe E zu sehen, dem Plutarch ein
ganzes Buch widmete, ohne sein Rätsel wirklich zu lösen.
Durch den Vorraum gelangte man in den Innenraum, wo sich
die Goldstatue des Apollon und seine heiligen Gerätschaften
befanden. Den Altar nannte man das „Grab des
Dionysos“, was man wohl eher symbolhaft zu verstehen
hat. Dann gab es noch einen uralten Altar des Poseidon (des
Gemahls der Erdgöttin). Nicht ganz in der Mitte war ein
Platz für die ewige Flamme der Hestia, die man mit Lorbeer-
und Kiefernholz nährte und unterhielt. Die Überwachung der
Flamme wurde Frauen anvertraut, die unbedingte Keuschheit
wahren mussten.
Nach übereinstimmender Aussage der antiken Autoren soll ein
Lorbeerbaum im Tempelinneren seine Wurzeln geschlagen
haben. Und es gab noch einen Eisenthron auf dem der Dichter
Pindar gesessen haben soll, als er Apollon seine
„Pythischen Oden“ vortrug. In der
geschlossenen cella
(im Innenraum) gab
es zudem die Statuen von zwei Moiren (Schicksalsgöttinnen),
(statt üblicherweise drei) und zwei Eisenstatuen von
Herakles und der Hydra. Feingewobene, schöne Tücher und
wunderbare Gemälde schmückten die Wände. Erfolgreiche
Athleten pflegten ihre Siegesbinden in das steinerne Gebälk
zu hängen. An der Westseite des geschlossenen Innenraums
war das Allerheiligste, das Adyton,
das tiefer lag als der übrige Innenraum und in dem die
Orakelbefragung der Pythia stattfand. Ein heiliger Stein
oder Omphalus
(Nabel) lag in der
Nähe der Grube des Adyton.
Noch zu erwähnen wäre, dass sich hinter dem Tempel ein
großes Theater erhob. Das Heiligtum der Göttin Athena war
dem Apollonischen Tempelbezirk zum Schutze
vorgelagert.
Der Tempel des Apollon
Das
Orakel des Apollon
Die Erdgöttin Gaia und ihre Tochter Themis waren die
Vorläuferinnen am Orakel des delphischen Gottes, deren
Verehrung bis in eine
prä-hellenistisch/mediterrane/mykenische Zeit, in eine Zeit
weit vor die griechische Antike zurückreicht. Nach der
Legende soll Apollon die große Schlange Phython, die
Beschützerin des Gaia-Orakels, getötet haben. Sie hauste an
einer schönen Quelle in der Nähe seines Tempels.
Pythia war nicht der persönliche Name einer apollinischen
Prophetin, sondern ein sakraler Titel für die vielen
Prophetinnen oder Seherinnen, die im Laufe von 1200 Jahren
auf dem berühmten Dreifuß saßen und den Ratsuchenden und
Fragestellern die Botschaften Apollos übermittelten. Das
idealisierte Urbild der Prophetinnen war die „Tochter
des Apollon“, Phemonoe („die Gottes Stimme
versteht“), der die Alexandriner in Delphi ein
Standbild gestiftet haben (3. Jh.). Ihr schrieb man auch
die Einführung des Versmaßes des Hexameters zu. Nach der
delphischen Tradition sprach die Seherin jeweils selbst die
Verse. Nach Herodot beantwortete die Seherin bei
prominenten Besuchern diese in Versen, noch bevor die
Fragen gestellt worden waren.
Der Begriff der Pythia tauchte erstmals bei Herodot auf.
Meist wird der Vorgang der prophetischen Kundgaben der
Pythia so beschrieben: Die Pythia saß auf ihrem Dreifuß an
einem Erdspalt, dem „Dämpfe“ entströmten, und
die so in einen „exstatischen“ Zustand geriet,
um darin ihre Kundgaben zu machen, welche von den Priestern
des Apollon aufgeschrieben wurden. Doch diese Version ist
gewiss eine Erfindung der römischen und christlichen Zeit.
Die „rasende und lallende“ Pythia steht auch im
Widerspruch zu älteren Darstellungen, wie z.B. Vasenbildern
des 5. Jahrhunderts, auf denen sie als Sprecherin des
Gottes etwas Erhabenes an sich hat.
An anderer Stelle heißt es: „Denn aus einer
Felsspalte, aus der ein kühler, eigenartiger Luftzug
herauskam, war nach Ansicht der Alten Ausgangspunkt des
ganzen Orakelbetriebes“. (Paulys Realencyclopädie,
1963) Einen Felsspalt konnten die Archäologen nicht finden.
Die genaue Beschreibung bei Strabon lautet: „Das
Manteion (Adyton), so sagt man, ist eine senkrecht
gegrabene Höhle, aus deren nicht sehr großen Öffnung ein
Hauch (Pneuma) ausströmt, der in Begeisterung versetzt.
Über der Umrandung steht ein erhöhter Dreifuß. Die Pythia
lässt sich dort nieder und kündet, von der Ausströmung
durchdrungen, die Orakel in Versen und Prosa“ (Roux,
1971).
Immer wieder wurde bezeugt, dass ein wunderbarer Duft bei
den Befragungen die Gegenwart des Gottes anzeigte. Man
brachte dieses Phänomen auch mit der Heiligen Quelle der
Erdgöttin Kassotis in Zusammenhang, deren Wasser unter
dem adyton
hindurchgegangen
sein sollen.
Die delphische Sybille von Michelangelo
in der Sixtinischen Kapelle
Laut
einer delphischen Inschrift in Versform besuchte der
agrivische Heerkönig Agamemnon vor der Fahrt nach Troja
Delphi. Nach Homer erhielt Agamemnon von Apollon über den
Streit zwischen Achilles und Odysseus einen Hinweis aus dem
Munde der Pythia (Paulys Realencyclopädie, 1963).
Herodot, der Vater der Geschichtsschreibung, vertraute dem
delphischen Orakel und schrieb im 5. Jahrhundert v. Chr. 66
Orakelsprüche nieder, darunter zwanzig in Versform,
Thukydides schrieb sechzehn auf.
Melas (1990) kommentierte die Orakelsprüche wie folgt:
„Niemand weiß, wie repräsentativ die erhaltenen, in
ihrem Stil äußerst differenzierten Orakelsprüche sind.
Einige der frühesten Sprüche sind kurz, klar und direkt -
der Gott spricht in Ichform, zuweilen ironisch-brilliant,
andere sind geheimnisvoll und feierlich. Philologen
unterstreichen die Ähnlichkeiten in Stil und Ausdrucksweise
der in Hexametern verfassten Sprüche mit den Versen früher
griechischer Dichter wie Hesiod und Theognis oder
Philosophen wie Heraklit, Parmenides und Empedokles. Häufig
wurden Metaphern verwendet.“ Das Orakel konnte
allerdings auch Humor entwickeln.
Der christliche Schriftsteller Origenes stellte die
Prophezeiungen der Pythia dem Pneuma,
dem Heiligen Geist des Christengottes, gegenüber. Die
Trägerinnen des Pythia-Titels wurden von den Kirchenvätern
Tertullian und Hieronymus hinsichtlich Keuschheit mit den
römischen Vestalinnen oder den Priesterinnen der Artemis,
der Athena und der Hera auf eine Stufe gestellt. Die
Seherinnen lebten ausschließlich für Apollon, für ihre
seherische Aufgabe und in kultischer Reinheit, die ein
absolut moralisch-einwandfreies Leben forderte. In den
ersten Jahrhunderten der Tradition mussten sie Jungfrau
sein und bleiben. Ihr Amt war auf Lebenszeit.
Trotzdem ließen sich zwei Vertreterinnen des Pythia-Titels
bestechen und wurden bestraft. Die Pythia Perialla und der
Spartaner-König Kleomenes waren in einen Orakelskandal
verwickelt. Als der Betrug aufkam, wurde die Pythia
natürlich sofort abgesetzt. Interessant ist, dass die
Orakelpriester niemals Meinungsverschiedenheiten in der
Öffentlichkeit austrugen und als geschlossene Gruppe eine
diskrete Diplomatie praktizierten. Die lärmenden
Zwistigkeiten der Zeitgenossen stachen von diesem
schweigenden Verhalten gewaltig ab, und genüsslich setzt
der Kritiker meist an diesem wunden Punkte an.
Aber wenn man bedenkt, dass diese Vorkommnisse im Laufe
eines Zeitraumes von 1200 Jahren geschahen, ist man eher
erstaunt. Der griechische Schriftsteller Plutarch
(ca. 46-120 n.
Chr.), der selbst im Alter Apollon-Priester in Delphi war,
behauptete, das Orakel habe sich nie geirrt. Gewiss,
Plutarch war ein großer Kenner der antiken Mystik,
Wissenschaft und Mythologie, doch in diesem Falle wohl
etwas befangen, denn die vollständige Geschichte der
Priesterinnen und Priester ist nicht überliefert.
Michael Maass (1993) äußerte sich zu den Orakelsprüchen der
Pythia folgendermaßen: „Die unbestritten echten
Orakel geben den Eindruck, als sei es ungebührlich gewesen,
zu viel zu fragen. Unlautere Fragen standen unter Androhung
von Schicksalsstrafen; auch die Orakelprobe des (Königs)
Kroisos ist als unfromme Versuchung des Gottes beurteilt
worden. Von Seiten Delphis sind die echten Sprüche einfach
und klar.“
Die Befragung der Pythia (Vasenbild)
Und weiter meint Maass: „Über die Inspiration der
weissagenden Pythia ist viel gerätselt worden. Die
Nachrichten, die man als Zeugnisse von einem inspirierenden
Hauch aus einem Erdspalt verstanden hat, sind teils
historisch zweifelhaft, teils auch unzutreffend übersetzt
worden. Die geologische Situation des Untergrundes und die
Architektur des Tempels schließen einen Austritt von
Dämpfen aus der Erde aus. Nach dem Verständnis der antiken
Autoren, die Delphi gut kannten, handelte es sich bei dem
„Hauch“ vielmehr um spirituelle Phänomene,
Emanationen göttlicher Kräfte, vergleichbar der Wirkung der
Sterne im Sternenglauben, nicht um physikalische.“
Im Kampf gegen das Heidentum wurden der Pythia
unberechtigterweise Obszönitäten unterstellt und die
Bedeutung der Orakelsprüche verfälscht. Der Theologe
Kleinknecht wusste dem über einen längeren Zeitraum echten
delphischen Pneuma
(dem Heiligen
Geist) nichts anderes entgegen zu setzen als: „Der
profan-griechische Pneuma-Begriff,
ob physiologisch-kosmisch, mantisch-enthusiastisch oder
zuletzt auch spirituell gefasst, unterscheidet sich vom
neutestamentlichen dadurch, dass der Gott, der dahinter
steht, jeweils ein „ganz anderer“ ist“
(ThWNT,1954). Die Kirche ließ wohl keine andere
Deutungsweise zu, denn sonst müsste der Autor wissen, dass
sich das Göttliche auch unter anderen Namen und in anderen
Kulturen offenbaren kann.
Sokrates
und das pythische Orakel
Sokrates (469-399 v. Chr.) und sein Schüler Plato (427-347)
bewunderten den delphischen Apollon
(Melas, 1990). Ein
schwärmerischer Schüler namens Chairephon befragte das
Orakel des Apollon.
Die Pythia ließ
über den Urmeister Sokrates wissen:
„Weise
ist Sophokles, weiser Euripides,
Der Menschen aller weisester ist Sokrates.“
(Eibel, 1949)
Sokrates selbst empfahl Ratsuchenden in manchen Fällen
ebenso das delphische Orakel. Sokrates war ein Meister
darin, „dummes Geschwätz und Irrglauben“ zu
entlarven. Er entwickelte eine subtile Fragetechnik für
Debatten, die dazu diente, zuerst die Begriffe zu klären,
auf denen die Überzeugungen der Diskussionsgegner beruhen.
Auf diese Weise kamen die Ungereimtheiten der verschiedenen
Ansichten ans Licht. Er hatte einen scharfen Blick für die
menschlichen Schwächen, deshalb schuf er sich nicht immer
nur Freunde. Auch riet Sokrates von einer militärischen
Expedition nach Sizilien ab und prophezeite den Untergang
des Heeres. Das militärische Abenteuer endete tatsächlich
mit dem Untergang der athenischen Macht in Sizilien.
(Christ, 1901)
Der berühmte Satz „Erkenne Dich selbst“
(griechisch: gnoti
soton)
wird einem der legendären sieben Weisen der Antike zu denen
auch Solon (635-559 v. Chr.), der Gesetzgeber Athens,
gehörte, zugeschrieben. Vermutlich hat Thales von Milet
(ca. 620-543 v. Chr.) diesen berühmten Ausspruch getan oder
vielleicht Cheilon von Lakedämonien. (Laertius, 1931)
Sokrates erklärte in ähnlicher Weise: „Ein Leben ohne
Selbsterforschung verdient nicht, gelebt zu werden.“.
(Platon. Apologie) Bei Heraklit (535-475 v. Chr.) heißt es
ähnlich: „Ich durchforsche mich selbst“ oder
„Den Menschen ist alles zuteil geworden, sich selbst
zu erkennen.“
Omphalos
Der
Omphalus
Der griechische Dichter Hesiod
(750 - 720 v.Chr.)
berichtete von Uranos,
dem Großvater des Zeus,
der seine Kinder und zuletzt einen Stein verschlungen
hatte. Letzteren erbrach er wieder und Hesiod
sagte über den
Stein in seiner Theogonie:
„Diesen
rammte Zeus der von breiten Straßen durchfurchten
Erde am Fuß des Parnássos ein im geheiligten Pytho, künftig
ein Zeichen zu sein, ein Staunen des sterblichen
Menschen“.
(Hesiod. Theogonie)
Ob dieser Stein unter dem Hügel
liegt, welcher als Nabel des Universums verehrt wurde, kann
hier nicht gesagt werden. Der wichtigste Kultgegenstand
Delphis im Allerheiligsten des Apollo-Tempels war
jedenfalls der Omphalus (Nabel), ein halbovaler,
kegelähnlicher heiliger Stein, von dem es allerdings
mehrere Kopien gab, und der heute im Delphischen Museum
gezeigt wird.
Das Ende der Orakelstätte
Es gibt kaum ein wichtiges Ereignis in der griechischen
Geschichte, das nicht in Delphi in irgendeiner Form
Niederschlag gefunden hätte. Viele große Figurendenkmäler
zeugen davon. Vor allem die großen Siege der griechischen
Stadtstaaten, die ihre eigenen tempelartigen Schatzhäuser
mit Weihgeschenken hatten, wurden dort verherrlicht. Der
heilige Tempelbezirk Delphis wurde zur „Ruhmeshalle
des alten Hellas“.
Das Orakel-Heiligtum des Apollon brannte 548 v. Chr.
nieder, wurde aber bis 510 mit äußerer Hilfe wieder
aufgebaut. Vielleicht war dies eine Warnung vor dem
Missbrauch. Ab 400 kamen die Kundgaben der Pythia nicht
mehr in Versform. Deswegen wurde sogar die Möglichkeit
erwogen, dass die Pythia nicht mehr an das Göttliche
herankam, dass das prophetische Pneuma
oder die
Inspiration (Anhauchung) erloschen sei.
Im Jahre 373 v. Chr. wurde das Heiligtum durch einen
Erdrutsch zerstört. Die ganze damals bekannte Welt trug zum
Wiederaufbau bei, was wiederum ein Zeugnis für das
gewaltige Ansehen Delphis gewesen ist. In den darauf
folgenden Jahrhunderten wurde Delphi mehrfach geplündert,
u. a. von den Phokern, Kelten und Äolern. 391 n. Chr. wurde
das Orakel durch den byzantinischen Kaiser Theodosius I.
verboten. Bis an sein Ende blieb das Heiligtum „der
bedeutende diplomatische Treffpunkt, der das Bewusstsein
der hellenischen Zusammengehörigkeit erhalten und gefördert
hat“ (Melas 1990).
Dieter Storz
Quellen:
Bergner, H.: Grundriß der Kunstgeschichte – Leipzig
1913
Büchner, G. : Geflügelte Worte - 1991
Christ, Wilhelm: Plutarchs Dialog vom Daimonion des
Sokrates - München 1901
Eibel, Hans: Delphi und Sokrates -Salzburg 1949
Gimbutas, Marija: Die Zivilisation der Göttin - Frankfurt
1996
Hesiod: Werke - 1994
Laertius, Diogenes (übers. u. komm. v. O. Apelt): Leben und
Meinungen berühmter Philosophen. 1921
Maass, Michael: Das antike Delphi - Darmstadt 1993
Melas, Evi: Delphi - Die Orakelstätte des Apollon - Köln
1990
Meletzis, S. u. H. Papadakis: Delphi - München u. Zürich
1964
Plege, Wolfgang H.: Die Vorsokratiker – Stuttgart
1991
Plutarch: Über Gott und Vorsehung, Dämonen und Weissagung -
Zürich und Stuttgart 1952
Roux, Georges: Delphi - München 1971
Schäfer, Christian: Xenophanes von Kolophon – Leipzig
u. Stuttgart 1996
Wieseler, Friedrich: Die delphische Athena: ihre Namen und
Heiligtümer – Göttingen 1845
Zur Abbildung von Michelangeo:
In den von
Michelangelo gemalten Deckenfresken der Sixtinischen
Kapelle erscheinen neben sieben Propheten auch fünf
Sibyllen, unter anderem die Delphische Sibylle als junge
Frau, deren Gesicht frontal dargestellt ist und eine
Schriftrolle in der Hand hält. Eine Siblylle ist dem Mythos
nach eine Prophetin, die im Gegensatz zu anderen göttlich
inspirierten Sehern ursprünglich unaufgefordert die Zukunft
weissagt. Wie bei vielen anderen Orakeln ergeht die
Vorhersage meistens doppeldeutig, teilweise wohl auch in
Gestalt eines Rätsels.